Blutiger Spessart
Leidenschaft, die ihn unter anderem dazu veranlasst hatte, seinen Wohnsitz mehr als fünfzig Kilometer von Würzburg entfernt zu wählen. Am Rande des Spessartdorfes Parten-stein hatte er sich ein Einfamilienhaus gemietet. So hatte er mit dem Wagen nur fünf Minuten in das von ihm angepachtete Hochwildrevier, wo er, wann immer ihm Zeit blieb, seiner Jagdleidenschaft frönte.
Zehn Minuten später war er auf der B 27 in Richtung Gemünden unterwegs und gab Gas. Der flotte Turbodiesel röhrte auf, und einhundertsechzig Pferdestärken trieben den schweren Geländewagen mühelos voran.
6
Francesco Edoardo Emolino saß in Gemünden am Main im Hinterzimmer des Eiscafés
Gelati,
das ihm, wenn er nicht in seiner Villa war, als Büro diente, und schaufelte einen Berg Pasta in sich hinein. Um den Hals hatte er sich eine großzügig bemessene Stoffserviette gebunden, die verhindern sollte, dass er sich die ölige Tomatensoße auf sein Hemd tropfte. Emolino genoss das heimische Essen nach dem seiner Meinung ungenießbaren Fraß in der Justizvollzugsanstalt sichtlich.
Ihm gegenüber saß sein neuer Consigliere Michelangelo Trospanini, der nach dem Verrat Mallepieris in der Rangordnung der Familie aufgestiegen war.
Trospanini stammte aus Neapel und war ein nichteheliches Kind. Seine Mutter kam kurz nach seiner Geburt zu Verwandten nach Deutschland. Nachdem sie wenig später einen Deutschen heiratete, bekamen sie und ihr Kind die deutsche Staatsbürgerschaft. Michelangelo Trospanini war aber im Herzen immer Italiener geblieben. Seine absolute Loyalität gehörte Don Emolino.
Auf dem Stuhl daneben saß Ricardo, Emolinos Sohn. Ricardo, 26 Jahre alt, arbeitete seit zwei Jahren pro forma in der Eisdiele als Geschäftsführer. De facto war er ein Lebemann, der ständig zu viel Geld ausgab. Er war zwar mittlerweile bis zu einem gewissen Grad in die Geschäfte seines Vaters eingeweiht, hatte aber noch keine Vollmachten. Jeder Versuch Emolinos, den Jungen in seinem Sinn zu erziehen, war bisher an dessen Dickköpfigkeit gescheitert. Dabei hatte der Junge durchaus Potenzial. Um seine Eignung zu prüfen, hatte Emolino ihm schon verschiedene Aufträge erteilt.
Vor vier Wochen hatte er beispielsweise in Frankfurt einem Letten, der für die Russenmafia arbeitete und Emolino im Wege stand, eiskalt zwei Kugeln in den Kopf geschossen. Emolino empfand dabei innere Befriedigung, weil sich sein Sprössling dabei wie ein Profi verhielt und keine Spuren hinterließ.
Ansonsten aber war der Junge nach Meinung seines Vaters noch zu leichtsinnig und in seiner persönlichen Entwicklung nicht ausgereift. Ein typischer Beweis für diese Unreife war für Emolino die Tatsache, dass Ricardo gerne sehr teure italienische Sportwagen fuhr, ständig wechselnde Frauenbekanntschaften pflegte und jede Menge Geld für teure Kleidung ausgab. Für einen Mann mit italienischen Wurzeln zeigte er wenig Familiensinn und ließ sich viel zu sehr treiben. Nur an seinem Rauhaardackel Fredo, den er ständig mit sich herumschleppte, hatte er auf infantile Weise einen Narren gefressen.
Irgendwann war Don Emolino der Kragen geplatzt und er hatte ihm den Geldhahn zugedreht. Jetzt musste Ricardo mit seinem nicht allzu üppigen Geschäftsführergehalt auskommen. Ein Umstand, weswegen er im Augenblick nicht besonders gut auf seinen Vater zu sprechen war. Das war Don Emolino allerdings ziemlich gleichgültig.
Ricardo war sich darüber im klaren, dass er irgendwann Nachfolger seines Vaters werden würde. Wenn sich der Alte weiterhin so vehement mit der Polizei anlegte, würde seine Zeit vielleicht viel schneller kommen, als er dachte. Bis dahin galt auch für ihn: Der alte Don war der Chef, und er hatte sich zu beugen.
Die beiden Männer sahen zu, wie es sich der Chef des Familienklans schmecken ließ. Sie wagten es nicht, ihn dabei zu stören.
»Habt ihr mal rausgesehen?«, quetschte er schließlich undeutlich hervor, weil er mit vollem Mund sprach. Mit den Zinken der Gabel wies er zum Fenster. »Diese verdammten Bullen. Seit ich aus dem Gefängnis bin, steht ständig eine Zivilstreife vor der Tür. Seht euch doch nur mal diese beiden Figuren darin an. Denen sieht man doch den Schnüffler schon von weitem an. Seit Stunden steht der Wagen auf der anderen Seite des Platzes und rührt sich nicht von der Stelle. Denken die vielleicht, ich sehe sie nicht?«
Trospanini ließ sich vom Zorn seines Paten nicht anstecken. »Das konnte man doch erwarten, Don Francesco. Sie werden es nicht
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