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Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
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ihren Wurzeln gut am feuchten Mauerwerk. Zwar schmeckte der aufgekochte Sud des Efeus selbst mit Honig immer noch ekelhaft, doch er half nun einmal gegen Keuchhusten.
    Es war wie verhext. Seit dem Kampf der Götter gab es kaum jemanden, der nicht unter irgendwelchen Gebrechen litt. Keuchhusten, Gicht und Fieber waren an der Tagesordnung. Das ewig feuchte Wetter und der nie nachlassende Wind forderten ihren Tribut. Unter normalen Umständen hätte die Witterung für die Nelborianer kein Problem dargestellt, doch Missernten, verdorbene Vorräte und Viehseuchen hatten zusätzlich noch Hungersnöte hervorgebracht und das Volk geschwächt. So widersprüchlich es auch klang, viele Menschen schufteten sich regelrecht zu Tode, um am Leben zu bleiben.
    Berichten von Reisenden zufolge war Nelbor nicht das einzige Land, das unter den genannten Nöten zu leiden hatte - die ganze Welt schien verflucht und zum Aussterben verdammt. Ein Jahr, elf Monate und siebzehn Tage war es her, dass der letzte lebende Säugling in Osberg geboren worden war. Sulina, ein kleines kräftiges Mädchen, wurde von ihren Eltern verhätschelt und von allen anderen verwundert bestaunt. Sie war der jüngste Mensch in Osberg, vielleicht sogar auf der ganzen Welt. In anderen Städten sah es ähnlich düster aus. Jeder machte sich Gedanken und hatte seine eigene Erklärung für dieses Phänomen, aber die Meisten sprachen einfach nicht darüber.
    Cindiel trennte die frischen, hellgrünen Triebe des Efeus mit ihrem Kräutermesser ab und stopfte sie in den Lederbeutel, den sie zu diesem Zwecke stets bei sich trug. Jeden zweiten Tag stand sie hier vor den Mauern Osbergs und beschnitt die kaum noch armlangen Ranken.
    Cindiel, mit ihren gerade mal zwanzig Jahren, war sicherlich nicht das, was sich die meisten Menschen unter einer Hexe vorstellten, aber seit dem Tod ihrer Großmutter gab es in Osberg keine andere mehr. Die alte Gerba hatte ihr viel beigebracht, und seit dem Tag ihres Todes las Cindiel fast täglich in dem dicken Folianten ihrer Großmutter, in welchem diese ihr Wissen festgehalten hatte. Nicht alles von dem Gelesenen ergab für Cindiel einen Sinn, doch mit jeder Formel und jedem Rezept, das sie sich aneignete, wuchs ihr Wissen. Viele der Menschen hier vertrauten ihr und ihrem Wissen über Kräuter und Tränke.
    Aber viele der jungen Männer des Städtchens sahen in ihr nicht nur eine Kräuterfrau. Ihr langes, dunkel gelocktes Haar, ihre feinen Züge, die sinnlichen Lippen und ihr schlanker Körper zogen die Burschen an wie das Licht die Fliegen. Cindiel betrachtete die Annäherungsversuche der Kerle mit Gleichgültigkeit. Ihr Herz gehörte Finnegan, einem jungen Soldaten der Stadtwache, auch wenn die gegenwärtige Zeit ihre Liebe auf die Probe stellte.
    Ein Mauersegler flog dicht an der jungen Hexe vorbei und verschwand über ihr im grünen Blätterdickicht. Kurz danach ertönten die bettelnden Rufe von Jungvögeln zwischen den Ranken. Einer nach dem anderen verstummte, und die Vogelmutter verließ das Nest wieder, um für Nachschub zu sorgen.
    Cindiel schaute wehleidig nach oben. Sie legte Beutel und Messer zur Seite und griff nach dem verholzten Stamm des Efeus. Behände kletterte sie nach oben und wagte einen vorsichtigen Blick in das Nest. Vier Jungvögel drängten sich in dem Vogelbau aus Lehm, Ästen und Blättern dicht aneinander. Sie konnten nur wenige Tage alt sein. Ihre Augen waren noch geschlossen, und außer einem kleinen Federbüschel auf dem Kopf waren sie nackt. Cindiel ahmte ihre Bettellaute nach, und sofort hoben die Jungen ihre schweren Häupter und sperrten die Schnäbel weit auf. Ein klagender Reigen aus Bettellauten ertönte.
    »Wie habt ihr es bloß geschafft, die Gnade der Götter zu bekommen?«, flüsterte sie. Aufgeregt piepend, schienen sie ihr zu antworten, bis die Kraft der Jungen nachließ und ihre Köpfe wieder sanken.
    Traurig kletterte Cindiel wieder hinunter. Als sie ihre Sachen aufnahm, hatten sich Tränen in ihren Augen gesammelt. Schweren Mutes machte sie sich auf den Heimweg in die Stadt. Die beiden Wachen am Stadttor hatten sich längst an den täglichen Gang der jungen Frau gewöhnt und schenkten ihr nur noch wenig Aufmerksamkeit. Da sie wussten, dass Cindiel auf ihrem Rückweg in der Regel nicht sonderlich gesprächig war, ließen die beiden Männer sie einfach mit einem freundlichen Nicken passieren.
    Den Gang durch die Stadt empfand Cindiel als einen Spießrutenlauf. Es war nicht so, dass jemand sie

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