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Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
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beschimpfte oder gar Sachen nach ihr warf, aber die Blicke vieler ruhten auf ihr. Die Menschen waren verzweifelt und hofften auf einen Zauber, einen Trank oder wenigstens ein bisschen Zuspruch von der jungen Hexe. Vielen hatte sie bereits geholfen, aber es reichte stets nur, um die kleinen Gebrechen der Menschen zu kurieren. Die Ursachen ihrer Leiden zu bekämpfen, den Hunger und die Mutlosigkeit, lag nicht in ihrer Macht.
    Mit der Zeit hatte sie aufgehört, die Menschen aktiv um sich zu scharen und ihnen Hilfe anzubieten. Ihre Kraft schien aufgebraucht, wie die vieler anderer auch. Nun beschränkte sich Cindiel darauf, Tränke, Salben und Pülverchen herzustellen und diese von Hagrim verteilen zu lassen.
    Sie kannte Hagrim schon von Kindesbeinen an. Damals war sie ihrer Großmutter immer davongelaufen, um den Geschichtenerzähler vor den Stufen der Kupfergrotte, der Taverne, in der Hagrim gerne verkehrte, abzufangen und ihm eine Geschichte zu entlocken. Und oft ließ sich der Erzähler mithilfe des einen oder anderen Silberstücks auch dazu überreden. Dann tauchte sie für kurze Zeit in die Welt der Helden, Drachen und Ungeheuer ein, während Hagrim seine Zunge mit einem Glas Rotwein lockerte. Zu jener Zeit hatte Hagrim viel zu erzählen gehabt, und noch mehr Durst.
    Seit Jahren wohnte der alte Haudegen jetzt bei der Hexe, und die meiste Zeit war ihr Leben durch seine Trunksucht und seinen Zynismus nicht gerade einfacher geworden. Doch seit einem halben Jahr schien er wie verwandelt. Der alte Geschichtenerzähler ging wahrhaft auf in seiner neuen Aufgabe. Jeden Tag aufs Neue verließ er morgens das Haus mit einem frisch gefüllten Beutel voll Tinkturen und kehrte spät abends mit zufriedener Miene wieder heim.
    Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte er den Inhalt des Beutels einfach zu Geld gemacht und in der nächsten Kneipe wieder auf den Kopf gehauen. Und die ersten Male war Cindiel ihm mit diesem Verdacht im Sinn auch heimlich gefolgt, doch sie hatte schnell festgestellt, dass Hagrim sich geändert hatte. Täglich saß er nun auf dem Marktplatz, und jeder, der von den Arzneien etwas benötigte, bekam sie auch. Hagrim schien es zu genießen, den Leuten helfen zu können. Außerdem hatte er so auch gleich die Möglichkeit, seine Geschichten zum Besten zu geben und neue zu erfahren. Er war zu etwas wie einem priesterlichen Seelsorger geworden, jedoch ohne jedwede Gunst der Götter.
    Diese Wandlung fand Cindiel ebenso erstaunlich wie amüsant, denn vor zwei Jahren verloren auch die wahren Priester des Prios ihre klerikalen Fähigkeiten und unterschieden sich deshalb heute in ihrem Tun kaum noch von Hagrim. Natürlich hätten sie dies nie offen zugegeben, aber ihre ausbleibenden Erfolge in der Heilkunst sprachen für sich. Alles, was von den einst so hochnäsigen Priestern übrig geblieben war, waren ihre Geschichten.
    Mittlerweile hatte es wieder angefangen zu regnen. Cindiel bog schnell von der Hauptstraße ab und folgte stattdessen den schmalen Seitengassen. So konnte sie weitestgehend unbemerkt zu ihrem kleinen Haus gelangen. Natürlich wussten viele Menschen, dass ihre Kräutertinkturen Heilung versprachen, denn Hagrim machte keinen Hehl daraus, wer die Arzneien, die er verteilte, angefertigt hatte. Es war ihr auch nicht unangenehm, als Heilerin bekannt zu sein. Aber der Gedanke, dass es viele Menschen gab, die sie nicht heilen konnte, zermürbte sie. Nicht jedes Gebrechen konnte man mit Kräutern kurieren, manchmal bedurfte es einfach einer göttlichen Macht, nur diese besaß sie eben nicht. Und auch sonst niemand. Wie es aussah, nicht einmal mehr die Hohepriester des Prios.
    Im Schutz der hohen, fensterlosen Häuserfronten erreichte Cindiel den Hinterhof ihres Hauses. Jedes Mal, wenn sie die alte Eiche in der Mitte des Hofes sah, musste sie an Mogda denken und lächeln. Damals hatte eine aufgebrachte Menschenmenge versucht, ihren schwergewichtigen Freund mithilfe eines alten Gauls an eben diesem Baum zu lynchen. Noch immer sah sie vor ihrem geistigen Auge das arme Pferd hilflos in der Luft baumeln, von dem Oger hochgestemmt. Heute jedoch war ihr nicht zum Schmunzeln zu Mute.
    Den Beutel in der Rechten und die Rockzipfel in der Linken, schlich sie durch Wind und Regen über den Hof.
    »Du solltest bei so einem Wetter nicht rausgehen«, hallte eine herrische Frauenstimme über den Platz.
    Cindiel blieb stehen und wandte sich der Häuserfront zu, von der die Stimme gekommen war. Frau Mergil lehnte sich aus

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