Blutinsel
Beobachtet und erkundet, seit ich hier bin. Ich hatte nichts anderes zu tun. Keiner stellt hier Fragen, es gibt keine Polizei, man sieht nur ab und an ein Boot der Küstenwache vorbeifahren. Diese Insel war ein hervorragender Unterschlupf, verstehst du? Niemand kümmert sich um den anderen. Ich sagte dir doch, ich schulde einigen Männern Geld, die keinen Spaß verstehen. Wo kann man besser untertauchen als da, wo kein Hahn nach einem kräht. Und am Ende springt vielleicht sogar etwas dabei heraus. «
» Ich wäre trotzdem im Süden geblieben « , versetzte Duval.
» Die Leute, die hinter mir her sind, haben gute Verbindungen, und irgendwann ging mir das Geld aus. Ich glaube, du machst dir keine Vorstellung davon, wie man dich in Thailand behandelt, wenn du keine Kohle hast und noch dazu Amerikaner bist. Sie pissen auf dich, sage ich dir. «
» Warum hast du dir Ashcroft nicht schon vorher geschnappt, wenn du schon so lange weißt, dass er Tylers Halbbruder ist? «
» Ist das hier eine Fragestunde? «
» Ich meine nur. «
Nyman zog die Stirne kraus und ging zurück zu seinem Sessel. » Ich war mir nicht sicher. Wenn ich mich geirrt hätte, wäre es nur zu Verwicklungen gekommen, und das Letzte, was man bei so einer Sache brauchen kann, ist zu viel Aufmerksamkeit. Ich wusste ja, dass Tyler im Herbst herausgekommen wäre. Dann wäre alles viel einfacher gewesen. Als ich erfuhr, dass er abgehauen ist, hat das die Situation natürlich grundlegend verändert. Und jetzt sitzen wir hier und ziehen das Ding durch. «
» Heute Abend « , stimmte Duval zu. » Ich habe keinen Bock mehr, länger zu warten. «
» Wir müssen geduldig sein, noch wimmelt es hier von Polizei. Dieser irre Killer hat uns einen ganz schönen Strich durch unsere Rechnung gemacht. «
» Trotzdem « , erwiderte Duval. » Wir ziehen es so schnell wie möglich durch, ich will hier verschwinden. Dann werde ich dir irgendwann einmal schreiben, wie Mexikaner reiche Amerikaner behandeln. «
Newark Harbor, New Jersey,
22 . März 2007 , 16 . 10 Uhr (Donnerstag)
Brian Stockwell war verzweifelt. Über der südlichen Ostküste lag ein schwerer Sturm, der die Wellen des Atlantiks meterhoch auftürmte, so dass die Gischt über die Kaimauer wehte und er zu dem Regen auch noch einen Schwall Altantikwasser abbekam. Weit und breit war keine Schiffspassage nach Portland zu bekommen, und auch die Flughäfen hatten angesichts des heftigen Frühjahrssturms ihre Flüge entlang der Ostküste ausgesetzt. Und was noch schlimmer war, seit einer Stunde gab es keine Telefonverbindungen hinaus auf die Inseln mehr! Selbst das Handynetz war an der Küste ausgefallen. Nur kurz hatte er mit Mia Honeywell sprechen können. Cathy war irgendwo auf der Insel unterwegs, hatte ihm die Wirtin vom Hell’s End berichtet.
Am Nachmittag hatte er sich mit Paul Vaughn getroffen, der im Newark Prison den C-Block beaufsichtigt hatte, in dem Dennis Haywood seine langjährige Haftstrafe verbüßt hatte. Der Mann war inzwischen pensioniert und genoss sichtlich seine Tage abseits der Gefängnis-Gitter von Newark. Sein gewaltiger Bauch saß auf zwei stämmigen Beinen, und das tiefrote Gesicht von Vaughn zeigte, dass es mit dem Blutdruck des ehemaligen Aufsehers nicht zum Besten stand. Sie hatten sich in Smith’s Coffeeshop getroffen, wo Vaughn in kürzester Zeit zwei Apfelkuchen auf Brians Rechung verspeiste und dazu einen Irish Coffee mit viel Sahne trank.
» Wissen Sie « , sagte Vaughn. » In meinem Job habe ich nur sehr selten die Sonne gesehen. Manchmal wusste ich gar nicht mehr, wer die Aufseher und wer die Gefangenen sind. «
» Ich verstehe « , antwortete Brian, der keine Lust auf Smalltalk hatte und sofort das Thema anschnitt, weswegen er den korpulenten Mann aufgesucht hatte.
» Ja, er war ein guter Junge « , begann Vaughn und schob ein Stück Apfelkuchen in seinen großen Mund. » Er war fleißig und hat immer gemacht, was man ihm gesagt hat. Er war vollkommen falsch untergebracht in dieser Hölle von Newark. Ich habe ihm zu einem Job in der Bibliothek verholfen. Tagsüber hat er gearbeitet, abends hat er gelesen. Er wollte alles wissen und hat eine Ausbildung zum Mechaniker mitgemacht. Das hat er mir zu verdanken. Aber er war immer dankbar. Selbst als er entlassen wurde, hat er sich noch ein paar Mal bei mir gemeldet. Zuerst war er beim Militär, aber nicht lange, das war nichts für ihn. Das letzte Mal, als er anrief, erzählte er mir, dass er einen guten Job hat, irgendwo
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