Sie sehen aber gar nicht gut aus!
Sanitäter im Rettungsdienst – nur ein Job?
Eine Art Vorwort
Am 1. September 2014 werde ich mein persönliches Feuerwerk aufsteigen lassen. Genau 20 Jahre zuvor begann ich beim Rettungsdienst. Ich wählte meinen Beruf »Rettungsassistent« damals mit Bedacht.
Kein Nine-to-five-Bürojob sollte es sein. Ich wollte Individualität und Abwechslung. Meine beruflichen Höhepunkte des Tages sollten darüber hinausgehen, eine Tasse Kaffee über die Computertastatur zu kippen und einen Blick auf den roten Tanga der Sachbearbeiterin Paula Popsie zu erhaschen. Ich wollte Teamarbeit, weil ich noch immer verrückt werde bei dem Gedanken, allein vor mich hinwurschteln zu müssen. Und sehr reizvoll war auch die Tatsache, nicht permanent durch einen Chef »überwacht« zu werden. Im Rettungswagen ist der Sanitäter sein eigener Herr, und nur der Notarzt kann hier irgendwelche Befehle erteilen.
Als ich damals den Entschluss für meinen Beruf gefasst hatte, ging ich eines Morgens ins hiesige Arbeitsamt. Es war der Versuch, irgendeine Form finanzieller Unterstützung für mein Vorhaben zu beantragen. Das rosa Gebäude mit dem großen roten »A« hatte schon bessere Zeiten gesehen. Der Putz bröckelte von der Außenmauer, die Türrahmen konnten auch einen neuen Anstrich vertragen. Die grünen Fensterläden hingen in verrosteten Scharnieren und schlugen gegen die Wand. Es roch nach Rosen.
Montagmorgen, acht Uhr, Zimmer 3. Die Nummer 15 stand auf dem roten Abriss aus rauem Recyclingpapier. Sachbearbeiterin Frau Müller rief mich auf. Ich drückte die goldfarbene Klinke und betrat das kleine Zimmer. Eine businessgestylte Endvierzigerin mit kurzen blonden Haaren, einem hageren Gesicht und einer großen runden Brille schaute mich über ihren Brillenrand hinweg an, die Stirn in Falten gelegt und wohl mit einem Humor wie Edgar Allan Poe. Die Luft in dem Zimmer war abgestanden, und es roch nach Staub und bleischwerem Frauenparfüm.
»Ja? Was wollen Sie?«
»Guten Morgen. Ich wollte fragen, welche Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung es für meine beabsichtigte Erstausbildung zum Rettungsassistenten gibt.«
»Beabsichtigte Erstausbildung?«, papageite sie und blätterte in irgendwelchen Unterlagen. »Junger Mann, normalerweise bekommen Sie ein Ausbildungsgehalt von Ihrem Lehrbetrieb. Sofern Ihnen das, aus welchen Gründen auch immer, nicht ausreichen sollte, müssten Sie noch mal hier vorsprechen.« Vor meinem inneren Auge erschien mir Frau Müller als bunter Vogel, als zotteliges, halsloses Federvieh, das zwar irgendwie niedlich aussah, das man aber am liebsten erwürgen würde, weil es in allen möglichen Situationen ständig dieselben Sachen vor sich hinplapperte. »Kann ich sonst noch irgendetwas für Sie tun?«
Das war ja das Problem. Diese Ausbildung wurde damals leider nicht bezahlt. Ich weiß nicht, ob es am Montag lag. Oder daran, dass Frau Müller eine beschissene Nacht gehabt hatte und ihren Job hasste. Oder ob es Frau Müllers mangelnde Fähigkeit zur Transferleistung war, die es ihr unmöglich machte, meine Situation zu verstehen. Vielleicht war ja auch nur meine Persönlichkeit schuld daran, und sie hasste mich.
»Wissen Sie was? Lernen Sie doch zunächst einmal etwas Vernünftiges, und dann machen Sie das da, wenn Sie meinen«, war das einzige und endgültige Resümee, das Frau Müller gezogen hatte. Ich war mir nicht sicher, ob Frau Müller den Sachverhalt tatsächlich begriffen hatte. Ob sie auch begriffen hatte, dass die Rettungsassistenten und Sanitäter die Ersten sind, die an einem Notfallort eintreffen, und daher eine gute Ausbildung dringend nötig ist. Und dass auch Frau Müller in Zukunft einen Schlaganfall haben könnte und auf kompetente Rettungskräfte angewiesen wäre. Dass sie dann froh wäre um Retter, die mehr wissen als das, was in einem zweitägigen Erste-Hilfe-Kurs vermittelt werden kann. Aber Frau Müller hatte an diesem grauen Morgen wohl einfach keine Lust, sich mit einem zu beschäftigen, der Rettungsassistent werden wollte. Ernüchtert und fassungslos stand ich schließlich vor der Fassade des Arbeitsamtes, wünschte Frau Müller zur Hölle und machte mich auf den Heimweg.
Aber Frau Müller konnte mich nicht von meinem Entschluss abbringen. Die Zeit meiner Ausbildung war überwiegend geprägt von Lernerei, Entbehrungen und vielen nagelneuen Erkenntnissen. Ich stellte fest, dass ich zusätzlich zur Anwesenheit in der Schule einen großen Teil meines Privatlebens in diese Ausbildung
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