Blutinsel
Zeit, bis das marode Gemäuer endgültig in sich zusammenbrach.
Als er am Friedhof vor der Kapelle vorüberging, blieb er stehen. Das Grab, in dem William Evans gestern beerdigt worden war, war von einem dunkelbraunen Erdhügel bedeckt. Er öffnete das schmiedeeiserne Tor, das quietschend aufschwang, und ging durch die Reihen der Gräber. Am Grab von Gabriel Jefferson hielt er inne. Jefferson war das erste Opfer dieses irren Mörders gewesen, bald würden weitere Gräber folgen, dachte John Tremblay bei sich und setzte seinen Weg zum Grab von Evans fort. Dort faltete er die Hände und verharrte schweigend, den Kopf zu Boden gesenkt. Er hielt nicht viel von der Kirche, das lag wohl auch an seinem Job, dennoch glaubte er an eine größere Macht und an einen Sinn des Lebens. Kurz verneigte er sich, bevor er den Kopf wieder hochreckte. Drei Schritte waren es, die er gemacht hatte, bevor er stehen blieb, als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Er wandte sich um und ging zurück zu der Stelle, an der er gestanden hatte. Er kniete sich hin und betrachtete den Boden. Das Jagdfieber stieg in ihm auf. Sie waren zart, nicht sehr deutlich ausgeprägt, doch sie waren für das geübte Auge sichtbar. Und noch etwas war ungewöhnlich, die Abdrücke befanden sich in einem kleinen verlorenen Häufchen Graberde und nicht im gelben Lehmboden, den man sonst überall hier fand. Er war gestern hier gewesen und hatte beobachtet, wie man morgens die dunkle Erde mit einer Schubkarre an das Grab transportiert hatte. Er war hier gewesen, er, der Mörder, er hatte sich hierher, mitten in das Dorf begeben, um das Grab seines Opfers zu betrachten. Wie kaltblütig war dieser Mensch. John Tremblay folgte dem Weg, der hinter die Kapelle zur kleinen Sakristei und der Leichenhalle führte. Überall war das zarte Muster abgebildet, bis es sich schließlich vor der Sakristei verlor.
John Tremblay rüttelte an der Tür, aber sie war verschlossen. Er umrundete die Kirche, doch auch am Westflügel ließ sich die Tür nicht öffnen, und Aufbruchspuren gab es ebenfalls nicht. Er verließ den Friedhof und ging zurück ins Hell’s End. Er hatte sich verspätet, dennoch war er gespannt, was die anderen dazu sagen würden.
43
Parish Hall, Hell’s Kitchen Island, Maine,
24 . März 2007 , 09 . 30 Uhr (Samstag)
Sie hatten sich pünktlich und wie verabredet getroffen, alle bis auf Tremblay. Eine halbe Stunde hatten sie gewartet, ehe sie sich gemeinsam in das Gemeindehaus begaben.
» Es war eine anstrengende Nacht « , sagte Cathy, » bestimmt schläft er noch. Geben wir ihm noch eine Stunde. «
In dem kleinen Büro mit Blick auf die Hauptstraße ließen sie sich nieder. Brian schaute nachdenklich auf die Fotos der Opfer, die an die Pinnwand geheftet waren.
» Augen, Zunge, Ohren, Beine, die Nase und jetzt das Herz « , murmelte Brian nachdenklich. » Das ist ein Zeichen. Er verstümmelt sie nicht wahllos. Das Sehen, das Riechen, das Schmecken. Er nimmt ihnen die Sinne. Jedem Einzelnen von ihnen. Stück um Stück. «
» Aber weshalb tut er das? «
» Malcom Hurst ist der letzte aus der Gruppe hier auf der Insel, die damals bei Seafood arbeiteten und beim Untergang der Jonathan Sinclair hier auf der Insel lebten. Das Seegericht hat dem Kapitän die alleinige Schuld zugesprochen. «
» Aber Gabriel Jefferson hat nie bei Seafood gearbeitet « , wandte Cathy ein.
» Und der letzte Augenzeuge, der noch etwas dazu sagen könnte, ist Pater Phillip. Er hatte sich damals geweigert, eine Beerdigungszeremonie für die Schiffbrüchigen durchzuführen, weil es angeblich alles Kommunisten gewesen sein sollen. Sie stammten von den Philippinen, alle bis auf den Kapitän und den Steuermann, einem Iren. «
» Es ist Dennis Haywood, und er nimmt grausame Rache « , behauptete Brian nachdrücklich. » Doch hinter welcher Maske verbirgt er sich? «
Cathy schüttelte den Kopf. Die Skepsis lag offen in ihrem Gesicht. » Weshalb sollte er das tun? « , fragte sie. » Was haben die Inselbewohner mit dem Schiffsunglück von damals zu tun? Es ist nicht das einzige Boot, das dort draußen vor der Insel gesunken ist. Er kann doch nicht einfach die Insulaner dafür verantwortlich machen. «
» Damals haben die Arbeiter bei Seafood für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne gestreikt « , antwortete Brian. » Die Filipinos an Bord der Sinclair sollten für Henderson arbeiten. Wenn sie hier angekommen wären, dann hätte er sicherlich die Streikenden einfach entlassen.
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