Blutinsel
dass es hier auf der Insel ein Kloster gibt? « , fragte sie Logan, der an ihrer Seite Platz genommen hatte und mit seiner Schuhspitze kleine Kreise in den sandigen Boden zeichnete.
» Das Kloster gibt es schon seit über einhundert Jahren « , erklärte er. » Früher lebten hier einmal sechzehn Mönche und andere logierten hier, um ihre innere Ruhe und die Nähe zu Gott wiederzufinden. Es handelte sich meist um Mönche, die sich um die Ärmsten kümmerten und viel Not und Elend bei ihrer Tätigkeit erlebten. Wir würden heute sagen, dass das Kloster die Aufgabe eines Erholungsheimes für ausgebrannte Gottesmänner erfüllte, die im Einklang mit der Natur in aller Abgeschiedenheit wieder zu neuen Kräften und Gottesnähe kommen sollten. «
Cathy schmunzelte. » Ein Sanatorium für Burn-out-geschädigte Mönche also. «
» So könnte man sagen. Aber seit zehn Jahren ist hier nicht mehr viel los. Die Mönche hier sind alle um die siebzig, bis auf Pater Thomas, der kam erst vor etwa einem Jahr auf die Insel. Er ist quasi das letzte Burn-out-Opfer, das man hierher geschickt hat. Wenn die letzten Mönche gestorben sind, dann wollen die Benediktiner das Kloster schließen und alles nach Petersham in Massachusetts verlagern.«
» Und woher wissen Sie das alles? « , wunderte sich Cathy.
» Sie vergessen wohl, ich bin der Master of the Island. «
Pater Phillip empfing seine frühmorgendlichen Besucher in seinem Arbeitszimmer, doch das Gespräch mit dem Ordensbruder war nicht sehr ergiebig. Er betonte, dass dieses Kloster ein Ort der Ruhe und inneren Einkehr sei und deswegen nur wenig Kontakt zu den Inselbewohnern bestehe. Natürlich helfe man, wenn die Nähe eines Bruders im Dorf oder auf den Schafsweiden von Nöten sei, aber grundsätzlich erfülle Saint Benedict einen völlig anderen Zweck, als das Fehlen einer örtlichen Pfarrei zu ersetzen. Hin und wieder lese man Messen in der kleinen Kapelle und es gebe auch eine Mitarbeiterin aus dem Village, aber ansonsten halte sich der Kontakt in Grenzen. Und Geister gebe es nicht, da stimme er ihr zu, doch der Aberglaube sei weit verbreitet im Golf der tausend Inseln. Dafür, dass sich dieser vermeintliche Geist am Poundrell Spring herumtreibe, habe er keine Erklärung, aber sie könne sich darauf verlassen, dass er nicht mit dem Kloster in Verbindung stehe.
Unverrichteter Dinge verließ Cathy zusammen mit Logan das Kloster. Die Sonne und der blaue Himmel versprachen einen warmen und trockenen Märztag. Als Logan vorschlug, zu den Breeds zu fahren, wo sich wohl ihr Kollege derzeit aufhielt, wehrte Cathy ab. » Ich denke, er kommt dort alleine zurecht « , antwortete sie. » Fahren Sie mich wieder zurück in die Stadt. «
» Und Belfour, oder besser gesagt derjenige, der sich dafür ausgibt? «
Cathy klappte die Sonnenblende herunter, die rötlich gefärbte Morgensonne blendete ihre Augen. » Wahrscheinlich ist er aus der Stadt geflüchtet, nachdem Sie ihn am Gemeindehaus gestellt haben. Vielleicht wollte er sich in der Scheune am Poundrell Spring verkriechen und stieß dort ahnungslos auf Breed und den Hirten. «
Logan nickte zustimmend. » So könnte es gewesen sein « , sagte er und gab Gas.
Vor dem Hell’s End setzte er Cathy ab, die sich zuerst auf ihr Zimmer begab und kalt duschte. Als sie ihren Laptop einschaltete und sich die Satellitenverbindung zum Internet aufgebaut hatte, erhielt sie eine Mail, die sich durch einen harmonischen Dreiklang ankündigte. Sie setzte sich an die Kommode und rief die Nachricht ab. Es war der Bericht des Gerichtsmediziners. Sie überflog den Anhang.
William Evans war den Feststellungen des zuständigen Pathologen nach bei lebendigem Leib gefoltert und verletzt worden. Das Verletzungsmuster deckte sich mit dem des ermordeten Leuchtturmwärters. An den Händen des Toten waren Spuren einer Fesselung vorhanden. Offenbar hatte der Täter ein grobes Hanfseil benutzt. Evans war aber nicht an seiner eingeschlagenen Nase gestorben. Er wurde ertränkt. Die Verletzung im Gesicht wurde ihm postmortal zugefügt. Als Tatwerkzeug kam ein Meißel oder ein Haken in Betracht.
Cathy überlegte, ob die Neuigkeiten aus dem Gerichtsmedizinischen Institut irgendeinen neuen Aspekt auf ihre Ermittlungsarbeit warfen, doch alles, was aus dem Bericht hervorging, hatte sie bereits vermutet. Die Folterung, die Zurschaustellung der Leiche, der gleiche Modus Operandi, nein, die einzige Neuigkeit war, dass man William Evans ersäuft hatte wie eine räudige
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