Blutjägerin (German Edition)
sich, doch das scherte ihn herzlich wenig. Er wartete, bis sich die Mönche und Priester, denen der Zugang zu den Archiven gewährt war, wieder ihren Arbeiten zuwandten, ehe er sich an einen Tisch setzte und die Seite mit zwei Pinzetten aus der Box auf den Tisch legte. Zwei Tage hatte er nach diesen Aufzeichnungen gesucht. Pater Lucio hatte ihn die ganze Zeit misstrauisch beobachtet und Kardinal Angelo vermutlich stündlich Bericht erstattet. Er traute diesem Pater nicht.
Mit seinem Körper verdeckte Jonathan, was er vorhatte. Behutsam strich er über die Seite, wischte den Staub von der Folie, der sich trotz der sauberen Luft hier unten über die Jahre angesammelt hatte.
Er überflog die Zeilen, die in schwer zu entzifferndem Latein verfasst waren. Es würde ihn Zeit kosten, den Text des Alchemisten und Mathematikers Arthur von Haineck zu entziffern. Zuvor musste er den Text abschreiben, ehe Pater Lucio mitbekam, dass er nicht nach Aufzeichnungen über Vampirclans, sondern nach verbotenen alchemistischen Rezepten suchte. Rezepten, die ihrer Zeit um Jahrhunderte voraus waren und deren Wirkung nur mit dem heutigen Wissen auf dem Gebiet der Genforschung zu erklären waren.
Auch wenn er nicht alles auf Anhieb verstand, merkte er schnell, dass es derselbe Text war, von welchem seine Familie einen Teil besaß. Es galt nun, die fehlenden Zutaten zu finden, um einen neuerlichen Fehlschlag zu verhindern. Manche waren im 21. Jahrhundert einfacher zu bekommen als zu von Hainecks Zeiten, andere dafür umso schwerer zu finden. Was seine Aufgabe als Jäger neu definieren würde. Vom Vampir- zum Blutjäger. Er grinste in sich hinein und hätte Pater Lucio am liebsten eine lange Nase gezeigt, weil dieser ihn noch immer dämlich begaffte.
Die Nacht erschien Gerald kälter als zuvor. Er vermisste Sophie und ihre wärmende Nähe bereits, als er das Wohnhaus verließ und in den Wagen stieg.
Verdammt. Er roch sie noch immer, schmeckte sie und spürte sie auf seiner Haut. Für einen perfekten Moment waren ihre Seelen vereint gewesen. Sein Herz schlug bei diesem Gedanken schneller und er verspürte schon wieder Lust auf sie. Wie konnte etwas, das sich so perfekt anfühlte, so falsch sein?
Wenige Minuten später war er in der Agentur.
„Was ist los mit dir?“, begrüßte ihn Clement.
Na wunderbar, er hatte Geralds Konflikt sofort bemerkt.
„Ich möchte nicht darüber sprechen. Vielmehr interessiere ich mich für die Infos.“
„Natürlich.“ Clement sank in seinen Bürostuhl und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Was willst du zuerst hören?“
„Das überlass ich dir“, antwortete Gerald und versuchte krampfhaft, sich zu konzentrieren und Sophie aus seinen Gedanken zu verbannen. Doch das war zwecklos. In dieser Nacht hatte er eine Grenze überschritten, die es ihm nicht leicht machen würde, umzukehren.
Clement tippte etwas in den Computer und drehte den Bildschirm in Geralds Richtung. Ein roter Pfeil markierte eine Stelle auf der Karte der Wiener Innenstadt.
„Was ist das?“ Gerald beugte sich vor.
„Eine Bar nahe dem Stadtpark. Gerüchten zufolge soll es dort einen Treffpunkt der freien Liga geben.“
Die Bar lag Luftlinie keine zweihundert Meter von André Barovs Penthouse entfernt. Zufall oder Absicht? „Woher weißt du davon?“
„Die zwei aus der Pathologie, die wir festnehmen konnten und der Kerl, der noch am Leben war, als wir eintrafen.“ Clement strich sich über seine polierte Glatze. „Er hat gesungen, in der Hoffnung, wir könnten ihm helfen. Aber seine Wunden hattenihn bereits zerfressen.“ Clement drehte den Schirm wieder zurück. „Was ist da unten passiert? Es waren die Waffen eines Jägers, die diese Morati-Vampire getötet haben.“
Es hatte keinen Sinn, Clement die Wahrheit zu verschweigen. Die Pathologie war mit Kameras ausgestattet, und auch wenn die Auswertung etwas dauerte, würde er es früher oder später erfahren.
„Es war Richters Tochter. Sie war in der Pathologie, um Roth zur Rede zu stellen. Die Moratis kamen ihr in die Quere.“
„Wo ist sie jetzt?“
„Ich habe sie nach Hause gebracht. Du weißt, dass ihr nichts geschehen soll.“
„Ist es wirklich nur das?“
„Lass das meine Sache sein.“
„Verstehe.“ Clement nickte. „Ich hoffe nur, du weißt, was du tust.“
„Da bin ich im Moment nicht so sicher“, gab er zu und ging nach draußen, um eine Blutphiole aus dem Lagerschrank zu holen. Clement folgte ihm.
„Wenn du darüber reden willst
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