Blutkrieg
zuwandte,
flackerte ein Schatten über das grüne Eis vor seinen Augen;
kaum mehr als ein Huschen, die bloße Ahnung von Bewegung,
von etwas, was in dem grünen Schimmer Gestalt annehmen
wollte, aber sofort wieder auseinandertrieb. Andrej drehte sich
nun doch um, kniff die Augen zusammen und versuchte das
diffuse grüne Halbdunkel zu durchdringen, doch was immer sich
in den Schatten verbarg entzog sich immer wieder aufs Neue auf
gespenstische Weise seinem Blick.
Ihm wurde noch unbehaglicher zumute. Seine Hand schloss
sich fester um den Griff des Schwertes, doch er zog die Waffe
immer noch nicht. Aus dem kaum wahrnehmbaren Huschen
wurden Wirbel, in der türkisfarbenen Dämmerung tanzende
Schatten, flüchtig und kaum greifbar.
Andrej ließ die Hand auf dem Schwertgriff liegen, lehnte sich
nun aber mit Schultern und Hinterkopf gegen die eisige Wand
und schloss die Augen bis auf einen haarfeinen Spalt. Wer
immer ihn beobachtete, musste annehmen, dass er sich
entspannte und gegen den Schlaf kämpfte.
Zu dem Trippeln gesellten sich nun andere Geräusche, ein
Rascheln da, ein leises Klirren dort. Die Höhle füllte sich mit
Wispern und Raunen und Zischeln, das sich kaum von dem
entfernten Plätschern der Wassertropfen unterschied.
Nichtsdestotrotz konnte sein Ohr die Laute jetzt so deutlich
ausmachen, dass sein Herz schneller zu pochen begann. Seine
Fantasie gaukelte ihm vor, Gestalten stürzten sich aus den
Schatten auf ihn, mit erhobenen Schwertern, Knüppeln und
Äxten zum Zuschlagen bereit und mit wilder Entschlossenheit in
den zu tierischen Fratzen verzerrten Gesichtern. Sein Blick
flackerte unter halb geschlossenen Lidern hin und her, versuchte
vergeblich, das wogende Grün mit Blicken zu halten, eine
vertraute Form zu erkennen. Doch so sehr er sich auch
konzentrierte, es gelang ihm nicht.
Plötzlich war er da, ein kleiner, schwächlicher Schatten, grau
und fahl. Nicht grün, wie alles andere hier, und auch nicht dort,
wo er ihn erwartet hätte, sondern näher, kaum mehr als zwei
Manneslängen von ihm entfernt. Andrej fuhr so heftig
zusammen, dass sein noch immer steifgefrorener Mantel
knisterte, riss das Schwert aus dem Gürtel und wirbelte herum.
Dennoch nicht schnell genug, denn in diesem Moment war
Abu Dun schon herangesprungen und schwang seinen
gewaltigen Krummsäbel.
»Nicht!«, kreischte eine helle, sonderbar dünne Stimme.
Abu Dun stoppte seine Bewegung im letzten Augenblick. Die
Schneide seines gewaltigen Säbels verharrte zitternd eine
Handbreit über ihrem Ziel, dann schwenkte der Nubier die
riesige Klinge herum und rammte sie mit einer wuchtigen,
wütenden Bewegung in den Gürtel zurück.
»Verdammt!«, schrie er. »Bist du lebensmüde, Bengel?«
Auch Andrej hatte Mühe, seine Überraschung zu verbergen.
Was da lautlos aus den Schatten vor ihnen … erschienen war,
war kein mythisches Ungeheuer, kein Drache, sondern ein
Junge, höchstens neun oder zehn Jahre alt. Der kleine, in
schäbige Fetzen gekleidete Kerl zitterte am ganzen Leib – vor
Schreck, nicht vor Kälte. Andrej ahnte, dass dem Jungen die
Temperaturen nichts ausmachten. Der blickte zu dem Nubier
hoch, eine Maus, die von der Katze in die Enge getrieben
worden war, und die wusste, das es keinen Ausweg mehr gab.
»Bitte«, stammelte er. »Bitte tötet mich nicht, Herr!« Seine
Stimme war ängstlich.
»Wenn du nicht umgebracht werden willst, solltest du dich
nicht an Fremde heranschleichen«, maulte Abu Dun.
Andrej sah ihm seinen Schrecken deutlich an. Um ein Haar
hätte er ein Kind umgebracht. Schließlich aber schüttelte er den
Kopf und zwang sich zu einer Grimasse, die niemand außer ihm
selbst für ein Lächeln halten konnte. Und noch nicht einmal er
selbst konnte glauben, dass diese Fratze das angsterfüllte Kind
beruhigen konnte. »Warum sollte ich dich umbringen? Wer bist
du überhaupt, und was machst du hier?«
»Vielleicht …«, stammelte der Junge, wobei er den zweiten
Teil von Abu Duns Frage geflissentlich überhörte, »vielleicht …
weil Ihr zu ihnen gehört …«
»Ach?«, grollte der Nubier. Seine Hände zitterten noch immer.
»Und wer sind die, zu denen wir deiner Meinung nach
gehören?«
Der Junge warf einen unsicheren Blick zu Andrej hoch, als
wolle er seine Hilfe gegen den schwarzen Riesen erflehen. Dann
aber fuhr er ein weiteres Mal zusammen, als er in dessen Augen
offensichtlich nicht das las, was er sich erhofft hatte, und Andrej
wurde schuldbewusst klar, dass er immer noch seine Waffe
drohend auf das
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