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Blutkrieg

Blutkrieg

Titel: Blutkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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von etwas Knorrigem, Gewundenem schälten sich aus
dem Eis; wie unzählige Schlangen, die in der grünen Kälte
erstarrt waren.
»Das ist Wurzelwerk«, sagte Abu Dun. »Kein Zweifel!«
Andrej hätte ihm gern widersprochen, doch Abu Dun hatte
Recht – es waren Wurzeln, die Lebensadern mächtiger Bäume,
die sich in die Erde gegraben hatten. Warum erschreckte ihn
dieser Gedanke so?
»Unheimlich«, kleidete er seine Gefühle in Worte.
»Was ist daran unheimlich?«, wollte Abu Dun wissen.
»Schließlich sind wir irgendwo tief unter der Erde.«
»In einer Höhle, unter dem Eis « , verbesserte ihn Andrej. »Und
das sind Baumwurzeln.« Er sah Abu Dun demonstrativ fragend
an. Irgendetwas polterte hinter ihnen in der grünlichen
Dämmerung, aber Andrej ließ sich nicht ablenken, sondern
machte eine Handbewegung, die dem Weg der Wurzelschlangen
nach oben folgte. »Vielleicht gibt es in diesem sonderbaren
Land ja Bäume, die im Eis wachsen, aber ich habe dort oben
keine gesehen.«
Abu Dun wirkte im ersten Moment verärgert; als nähme er es
Andrej übel, ihm seine Entdeckung zerredet zu haben. »Wer
weiß, wie lange es her ist, dass hier etwas gewachsen ist«,
brummte er schließlich mürrisch und hörbar selbst wenig
überzeugt von seiner Erklärung.
Da Andrej spürte, dass die Stimmung des Nubiers abermals
umzuschlagen drohte, ging er vorsichtshalber nicht weiter auf
das Thema ein. Er selbst traute seinen Gedanken ebenso wenig
und hatte Angst vor den Wegen, die sie, einmal von der Leine
gelassen, beschreiten könnten. Daher drehte er sich um und
versuchte noch einmal, die Höhle mit Blicken zu erkunden.
Ohne Erfolg. Einen Moment lang blieb sein Blick an der
Öffnung des Schachts hängen, durch die Abu Dun und er
gefallen waren, und ihm lief ein kalter Schauer über den
Rücken. Auch dieses Ende des Schachts war vollkommen rund
und perfekt. Es gehörte wahrlich nicht viel Fantasie dazu, sich
vorzustellen, wie sich etwas geduldig und mahlend durch das
Eis gefressen und diesen Gang erschaffen hatte, etwas Riesiges,
mit Schuppen und Zähnen und glühenden Augen.
Hastig schüttelte Andrej auch diesen Gedanken ab, hob die
Hand, um in den im grünen Schatten verborgenen Teil der
Höhle zu deuten. Er wollte gerade den Vorschlag machen,
dorthin zu gehen, als er das Poltern und Schleifen, das er schon
früher wahrgenommen hatte, wieder hörte.
Aber diesmal war es deutlicher. Zu deutlich, um es nicht zu
hören.
Neben ihm fuhr auch Abu Dun leicht zusammen. Er hatte es
ebenfalls wahrgenommen.
Sie waren nicht allein. Die Geräusche, die zu erkennen er sich
bisher mit Erfolg geweigert hatte, waren nun eindeutig.
Es waren Schritte. Und sie hielten direkt auf sie zu.
    »Bleib, wo du bist!«, zischte Abu Dun.
Andrej hatte spontan die Hand auf den Schwertgriff gelegt.
Der war so kalt, dass er sich fragte, ob es ihm im Zweifelsfall
überhaupt gelingen würde, die Waffe zu ziehen, oder ob sie
nicht vielmehr in ihrer Scheide festgefroren war. Jetzt nickte er
schweigend und sah zu, wie Abu Dun mit wenigen eleganten
Schritten im hinteren Teil der Höhle verschwand und dabei mit
den Schatten zu verschmelzen schien. In Gedanken zählte er bis
fünf, dann wandte er sich betont langsam abermals dem
unheimlichen Gewirr aus ineinander verschlungenen Adern und
Schatten in der milchigen Wand aus Eis zu. Dabei gab er sich
alle Mühe, einem heimlichen Beobachter gegenüber den
Eindruck zu erwecken, seine ganze Aufmerksamkeit gelte den
erstarrten Wurzelschlangen und dem Geheimnis, das sich hinter
ihnen verbergen mochte. Abu Dun hatte beschlossen, dass
Andrej heute den Lockvogel spielen sollte, und vermutlich hatte
er recht damit. Eine Überraschung war umso unangenehmer, je
stärker derjenige war, der im Hinterhalt lag. Andrej war zwar
zehnmal stärker als jeder andere Mann und hundertmal schwerer
umzubringen. Doch der Nubier hatte die gleiche, unheimliche
Verwandlung erfahren wie Andrej und war schon vorher
dreimal (mindestens) so stark wie er gewesen. So war das
ursprüngliche Verhältnis gewahrt geblieben. Andrej lauschte. Er
hörte ein Huschen und Trippeln, das jetzt deutlicher aus der
grünen Dämmerung an sein Ohr drang. Es war nicht das
Geräusch von Tieren, das wusste er. Zugleich aber hörte es sich
nicht an, als käme hier an diesem unwirklichen Ort ein Mensch
aus Fleisch und Blut auf sie zu.
Dann sah er etwas. Obwohl er den hinteren Teil der Höhle und
damit dem Ursprung der Geräusche den Rücken

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