Blutkrieg
wenige Meter, bevor er die Krümmung des
Schachtes erreichte und die eisige Wand seinen Sturz
abzubremsen begann. Andrej schrie vor Entsetzen und
Überraschung. Die Neigung des Schachtes nahm allmählich ab
und mit ihm die Geschwindigkeit seines Sturzes, der schon bald
zu einer rasenden Schlitterpartie wurde und sich irgendwann
doch verlangsamte. Die winzige Münze aus grauem Tageslicht
war längst über ihm verschwunden, aber es wurde dennoch nicht
dunkel, denn aus den Wänden des Schachtes sickerte ein
mattgraues Licht, das nicht schwächer wurde, während er weiter
nach unten schlitterte. Andrej schrie seine Angst weiter hinaus.
Immer verzweifelter griff er um sich, doch es gelang ihm
nicht, seine rasende Schussfahrt abzubremsen. Die Eiswände des
Schachtes glichen einer Kinderrutsche, auf die ein boshafter
Spielkamerad Seifenlauge gekippt hatte.
Das Ende seiner Schussfahrt kam ebenso überraschend wie ihr
Beginn. Mit einem Mal war um ihn herum Leere. Andrej zog
instinktiv die Beine an den Körper, als er einen Schatten vor
sich aufwachsen sah und einen überraschten Schrei hörte.
Immerhin war die Landung fast perfekt; jedenfalls wäre sie es
gewesen, hätten seine Füße nicht den Nubier genau vor die
Brust getroffen, ihn herum- und in die Höhe gerissen und ihn
dann mit solcher Wucht gegen die Wand geschmettert, dass er
mit einem erstickten Ächzen zusammensackte. Auch Andrej fiel
und prallte schwer auf einen Boden auf, der aus demselben
harten Eis bestand wie der Schacht … und auch ebenso glatt
war. Hilflos schlitterte er davon, bis eine weitere Wand aus Eis
seiner Rutschpartie ein abruptes Ende setzte.
Eine geraume Weile blieb er benommen liegen und wartete
darauf, dass sein Schädel aufhörte, zu dröhnen wie eine
angeschlagene Glocke.
»Nicht wieder schlagen, Sahib!«, drang Abu Duns Stimme wie
von weit her an sein Ohr. Sie hatte einen unheimlichen Klang,
verzerrt und mehrfach gebrochen, als spräche er vom Grunde
eines unendlich tiefen Schachtes zu ihm. Mühsam öffnete
Andrej die Augen, setzte sich auf und schüttelte ein paar Mal
den Kopf, um die Benommenheit endgültig loszuwerden. Er
lauschte in sich hinein und stellte überrascht fest, dass er sich
nicht ernsthaft verletzt, ja, nicht einmal wirklich wehgetan hatte,
sah man davon ab, dass ihm so schlecht war, als hätte er einen
ganzen Tag auf einem Jahrmarktskarussell verbracht, das von
einem Dutzend durchgehender Pferde gezogen wurde.
Außerdem stimmte etwas mit seinen Augen nicht. Sehen konnte
er, aber alles schimmerte in einem unwirklichen Grün.
»Dass du mich schlägst, daran habe ich mich ja schon
gewöhnt«, fuhr Abu Dun irgendwo hinter ihm fort. Auch mit
seinem Gehör schien etwas nicht in Ordnung zu sein, denn die
Worte des Nubiers wurden von einem sonderbaren plätschernden Laut untermalt, den er sich nicht erklären konnte. »Aber
wenn du jetzt auch noch anfängst, mich zu treten, muss ich
vielleicht doch einmal ernsthaft über die Basis unserer
Freundschaft nachdenken, Hexenmeister.«
»Nenn mich nicht so«, murmelte Andrej automatisch, stemmte
sich höher und drehte sich zu dem Nubier um.
Im nächsten Augenblick hielt er verblüfft inne. Abu Dun
kniete in einigen Schritten Entfernung am Boden und schöpfte
Wasser aus einer halbrunden Pfütze, von der Dampf in dichten
Schwaden aufstieg. Erst jetzt fiel Andrej auf, wie warm es in der
Höhle war. Und auch seinen Augen konnte er offensichtlich
immer noch trauen. Das unwirkliche Licht, das von allen Seiten
zu kommen schien und die Eishöhle schattenlos erfüllte, war
tatsächlich grün; ein blasser, türkisfarbener Schimmer, der aus
den Wänden und der Decke drang.
»Und dabei wollte ich dich gerade zu einem gemütlichen
Dampfbad einladen«, fuhr Abu Dun fort, bleckte die Zähne zu
einem strahlend weißen Pferdegrinsen und schöpfte sich zwei
weitere Hände voll Wasser ins Gesicht. Allein bei diesem
Anblick lief Andrej wieder ein eisiger Schauer über den Rücken.
Abu Duns Gesicht glänzte vor Nässe, aber der Panzer aus
Eiskristallen war verschwunden, und auch der Schnee, der sich
in seinen Augenbrauen verfangen hatte, war nicht mehr da. Die
grauen Schwaden, die Andrej im ersten Moment für seinen
eigenen Atem gehalten hatte, waren Dampf.
»Was zum Teufel ist das?«, fragte er verstört.
»Das weiß ich nicht«, antwortete Abu Dun, badete erneut sein
Gesicht im warmen Wasser und fügte prustend hinzu: »Aber es ist
mir auch egal. Wenn
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