Blutkrieg
drehte sich um, und dann war sie so schnell
wieder verschwunden, dass sich Andrej fragte, ob er nicht erneut
einem Trugbild aufgesessen war.
Und dennoch. Liftrasil hatte ihn aufgefordert, sie zu begleiten,
und er musste es wohl tun, wenn er das Geheimnis dieses
mysteriösen Hauses jemals lösen wollte. Da war eine leise
innere Stimme, die ihm zuflüsterte, dass er dabei war, einen
schrecklichen Fehler zu begehen. Dass er und Abu Dun dieses
furchtbare Haus verlassen sollten, so schnell sie nur konnten –
und solange sie es noch konnten. Allein bei der Erinnerung an
die Schwärze, die er in Liftrasils Augen gelesen hatte, schien
sich erneut etwas in ihm zu krümmen und voller Pein
aufzuschreien. Aber das war nur die Stimme seiner Vernunft,
und sie hatten längst jenen Teil der Wirklichkeit verlassen, in
dem Vernunft noch Bedeutung hatte.
Er warf einen letzten Blick über die Schulter zurück zu Abu
Dun, der die wuchtige Bärenmütze, die Lif ihm gegeben hatte,
mit hilflosem Gesichtsausdruck in den Händen drehte und
offensichtlich nicht recht wusste, was er damit anfangen sollte.
Dann ging er auf die schmale Tür zu, hinter der das Mädchen
verschwunden war.
Kaum war er durch die Tür getreten, da glitt sie lautlos hinter
ihm zu. Es gab keinen Knall, mit dem sie ins Schloss fiel, keinen
Schlag, nicht einmal ein Klicken, mit dem das Schloss
einrastete. Verwirrt und vielleicht gerade durch die Lautlosigkeit
alarmiert, blieb Andrej noch einmal stehen, streckte die Hand
nach der Klinke aus und rüttelte. Doch sie rührte sich nicht.
»Gib dir keine Mühe.«
Andrej drehte sich abermals um, nicht schnell diesmal,
sondern langsam, bedächtig, innerlich aber zugleich aufs
Äußerste gespannt. Aus dem Flüstern seiner inneren Stimme
war Gewissheit geworden. Es war eine Falle, und er tappte
offenen Auges hinein.
Das unheimliche Mädchen stand vielleicht fünf oder sechs
Schritte von ihm entfernt in einem schmalen Flur, der sich hinter
ihr noch ein beträchtliches Stück fortsetzte, noch immer umtanzt
von schimmerndem grünen Licht und noch immer auf
irritierende Weise unkenntlich, kaum mehr als ein flüchtiger
Schemen, dem es nicht gelang, vollends in die Welt zu
wechseln, in der er eigentlich zu Hause war. Und doch hatte sie
sich verändert. Andrej hätte nicht einmal sagen können, woran
es lag, aber sie schien … stofflicher geworden zu sein,
greifbarer, als hätte sie allein durch die Tatsache, von ihm
gesehen zu werden, mehr Wahrhaftigkeit erlangt. Als ihm klar
wurde, was er da dachte, hätte er beinahe laut gelacht.
»Gib dir keine Mühe«, sagte das Mädchen noch einmal.
»Diese Tür lässt sich nicht öffnen. Jedenfalls nicht von dir.«
Hinter Andrejs Stirn jagten die verrücktesten Gedanken, und
nicht wenige von ihnen hatten damit zu tun, dass Liftrasil ihn
absichtlich in diese Falle gelockt hatte. Jeden Moment würde
ihre Sippe über ihn herfallen, allen voran der dicke Ragon, von
dem Lif gesprochen hatte. Dann schüttelte er den Kopf,
verärgert über den Unsinn, den er dachte. So einfach würde es
nicht sein.
»Also«, sagte er gedehnt, während sein Blick aufmerksam an
ihr vorbeitastete und versuchte, die Schatten am Ende des
unmöglich langen Ganges, der sich hinter dem Mädchen auftat,
zu durchdringen. Sein Suchen blieb ergebnislos. »Was willst du
von mir?«
»Ich?« Liftrasil wirkte ehrlich überrascht. » Ich will nichts von
dir. Jedenfalls nicht jetzt. Es ist nur so, dass …« Ihre Stimme
brach, und gleichzeitig ging ein sichtbares Zittern und Beben
durch ihre zerbrechliche Gestalt. »Lif«, sagte sie schließlich.
»Lif?«, wiederholte Andrej. »Was ist mit ihm?«
»Lif ist ein … ein guter Bruder«, antwortete Liftrasil. »Er ist
nicht böse, das musst du mir glauben. Er versucht nur zu helfen.
Mir und den anderen.«
»Den anderen?«, fragte Andrej misstrauisch.
Liftrasil starrte eine Zeit lang aus ihren unheimlichen Augen
auf das Schwert in seiner Hand. »Warum steckst du nicht deine
Waffe ein und folgst mir? Ich kann dich an einen Ort bringen,
der dich alles besser verstehen lässt.«
Andrej warf einen raschen Blick über die Schulter zurück zur
Tür. Er verstand nicht, wo Abu Dun blieb. Lif konnte ihn
unmöglich so lange mit seinen albernen Kleidern abgelenkt
haben; und dass Andrej verschwunden war, konnte ihm
ebenfalls kaum entgangen sein. Prüfend drückte er noch einmal
die Klinke herunter, nur um abermals festzustellen, dass sie sich
nicht
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