Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutkrieg

Blutkrieg

Titel: Blutkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Nichts zu kommen schien. Doch das Licht
wirkte wärmer, sanfter, und was für das Licht galt, galt auch für
die Temperaturen.
Es war spürbar warmer hier drin, doch die Wärme stammte
nicht von einem Kamin oder einem Feuer, sondern von einem
kreisrunden Becken im Boden, von dem Dampf aufstieg, und
das mit sprudelndem Wasser gefüllt war.
»Was tun wir hier?«, fragte Andrej, indem er sich übertrieben
nach rechts und links umsah, bevor er sich wieder zu Liftrasil
umdrehte. »Hier ist niemand.«
Das Mädchen (Mädchen? Er musste sich getäuscht haben.
Jetzt, in dem veränderten Licht, in dem sie vor ihm stand, sah er,
dass sie alles war, nur kein Mädchen, kein Kind mehr. Sie war
eine Frau, eine sehr junge, aber auch unbeschreiblich schöne
Frau) stand einfach da und lächelte ihn an.
Dieses Lächeln hätte ihn dahinschmelzen lassen wie eine
Schneeflocke in der Sonnenglut der Wüste, wäre da nicht noch
immer die unheimliche Schwärze in ihren Augen gewesen; eine
Dunkelheit, die älter war als die Welt, und vielleicht mächtiger,
sicher aber gnadenloser als die Götter.
»Was wollen wir hier?«, fragte Andrej noch einmal. »Spiel
keine Spielchen mit mir, Kind!«
»Kind?« Liftrasil kam mit langsamen, fließenden Schritten auf
ihn zu. Ihr Haar schimmerte jetzt nicht mehr grün, sondern in
der Farbe von gesponnenem Gold, und Andrej gestand sich –
widerwillig – ein, dass er sich abermals getäuscht hatte. Sie war
keine schöne Frau. Sie war die schönste Frau, die er jemals
gesehen hatte. Ein Verlangen erwachte in ihm, das ihm in
diesem Moment denkbar unpassend vorkam, gegen das er aber
wehrlos war.
»Bist du wirklich der Meinung, ich wäre ein Kind, Andrej?«,
fragte sie.
Andrej schwieg. Seine Kehle war plötzlich wie zugeschnürt.
Etwas fegte seinen Willen und vor allem seine Vernunft
beiseite. Alles, was er tun konnte, war dazustehen und sie
anzustarren.
Erst, als sie Andrej fast erreicht hatte, blieb sie stehen, legte
den Kopf in den Nacken, um ihm ins Gesicht sehen zu können,
und fragte noch einmal: »Glaubst du wirklich, ich wäre noch ein
Kind?«
Andrej antwortete auch darauf nicht, aber er kapitulierte vor
sich selbst. Er hob die Hand, wollte sie ergreifen und an sich
ziehen, doch sie entschlüpfte ihm mit einem Lachen, zog sich
rasch zwei, drei Schritte zurück und sah ihn einen endlosen
Moment lang herausfordernd an.
Als er einen Schritt auf sie zu machen wollte, machte sie eine
herrische, abwehrende Geste, wandte sich um und eilte auf die
heiße Quelle auf der anderen Seite des Zimmers zu.
Noch im Gehen streifte sie ihre Kleider ab, aber – war es
Zufall oder Absicht? – was die schäbigen Fetzen, in die sie
gehüllt gewesen war, bisher vor seinen Blicken verborgen
hatten, das verschwand nun ebenso zuverlässig hinter dem
grauen Dampf, der vom Wasser aufstieg. Andrejs Augen
weiteten sich erschrocken, als er sah, wie sie ohne das mindeste
Zögern in den kochenden Wasserkessel hineinstieg, obwohl
seine Oberfläche brodelte und zischte.
»Liftrasil«, murmelte er. »Was … was tust du da? Bist du
verrückt?«
»Verrückt vor Einsamkeit, vielleicht«, antwortete Liftrasil. Als
mache ihr das kochende Wasser nicht das Geringste aus, ließ sie
sich langsam bis zu den Schultern hineingleiten, legte den Kopf
in den Nacken und tauchte dann ganz unter. Andrej hielt vor
Schreck den Atem an, doch es verging nur ein Moment, bis sie
wieder auftauchte. Er staunte, dass ihr goldfarbenes Haar nicht
einmal nass geworden zu sein schien.
»Ich bin schon so lange allein«, sagte sie. »Mein Bruder und
ich sind die letzten unserer Sippe. Es ist lange her, dass jemand
wie du den Weg zu unserer Insel gefunden hat.«
Es fiel ihm immer schwerer, einen klaren Gedanken zu fassen.
Obwohl er sie hinter den wirbelnden Dampfschwaden kaum
erkennen konnte, war es ihm doch unmöglich, den Blick von
ihrer ebenmäßigen Gestalt loszureißen, an irgendetwas anderes
zu denken als an ihre Schönheit, an das Versprechen, das in
ihrer sanften Stimme und dem Blick ihrer unergründlichen
Augen mitschwang. Und dennoch …
»Du hast gesagt, du wolltest mich zu den anderen Mitgliedern
deiner Sippe bringen«, sagte er lahm. Seine Stimme klang
schleppend, selbst für seine Ohren. Er musste eine enorme
Willenskraft aufbieten, um die Worte auszusprechen, und er
schämte sich fast dafür.
»Und dein Bruder erzählte, es wären Männer hier gewesen.«
»Das ist wahr«, antwortete Liftrasil. Das Wasser

Weitere Kostenlose Bücher