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Blutkrieg

Blutkrieg

Titel: Blutkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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noch eine Weile so sitzen, dann schlug er einen
Deckenzipfel beiseite, schwang die Beine aus dem Bett und sog
scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, als seine bloßen Füße
den kalten Boden berührten. Wie der gesamte Raum bestand er
aus Fels, aber er war so kalt wie Eis, und auch sein Atem stand
nun wieder als flüchtiger grauer Dampf vor seinem Gesicht.
Andrej entdeckte seine Kleider, die ordentlich
zusammengelegt auf einem Stuhl neben dem riesigen steinernen
Bett lagen. Rasch zog er sich an und stellte dabei fest, dass sie
nicht nur sauber gewaschen waren, sondern auch jemand alle
Risse und Beschädigungen geflickt hatte, und dies mit solcher
Kunstfertigkeit, dass man die Nähte kaum sah. Er schlüpfte in
seine Stiefel, legte – nach kurzem Zögern – auch seinen
Waffengurt an und warf sich schließlich den Mantel über die
Schultern. Dann ging er zum Fenster und sah hinaus.
Der Anblick hatte sich nicht verändert. Das Land war noch
immer öde, der Wind spielte noch immer mit denselben
vergänglichen Schneeskulpturen, und der Himmel war noch
immer trist und konturlos. Vielleicht war das Licht ein wenig
heller. Andrej stand eine Zeit lang einfach da und wartete darauf,
dass etwas geschah, doch der Wind setzte sein monotones Spiel
unbeeindruckt fort, niemand kam, und er hörte keinen Laut.
Schließlich gab er es auf, drehte sich vom Fenster weg und
ließ seinen Blick aufmerksam durch den großen Raum
schweifen. Die Gedanken hinter seiner Stirn bewegten sich noch
immer träge, und es fiel ihm schwer, zwischen seinem Albtraum
und dem Hier und Jetzt zu unterscheiden. Er spürte: Etwas
stimmte nicht. Gryla hatte von einer Nacht gesprochen, aber
auch wenn es ihm immer schwerer fiel, sich an die
zurückliegende Zeit zu erinnern, wusste er doch, dass er mehr
als nur ein paar Stunden geschlafen hatte. Dennoch schien sich
an dem grauen Zwielicht draußen nicht viel geändert zu haben.
Was war geschehen?
Sein Blick fiel auf die Tür, die zum Nebenzimmer führte, in
dem Gryla Abu Dun behandelt hatte. Sie hatte ihm verboten,
dieses Zimmer zu betreten, aber nun stand die Tür offen, und
auch wenn seine Erinnerung bruchstückhaft war, so überzeugte
ihn doch allein die Schwäche in seinen Gliedmaßen davon, dass
er seinen Teil der Abmachung erfüllt hatte.
Also ging er zur Tür, zögerte noch ein allerletztes Mal, um zu
lauschen, und trat dann ohne anzuklopfen ein.
Der Raum war leer bis auf das gewaltige steinerne Bett, auf
dem Abu Dun gelegen hatte. Außerdem gab es eine weitere Tür,
die Andrej bei seinem ersten Besuch nicht aufgefallen war. Aber
der war schließlich lange her.
Abu Dun war nicht mehr da. Andrej zögerte abermals, aber
dann schob er auch seine letzten Bedenken beiseite und öffnete
die zweite Tür. Er kannte Gryla mittlerweile gut genug, um
sicher zu sein, dass diese ganz bestimmt fest verschlossen
gewesen wäre, hätte sie nicht gewollt, dass er hindurchtrat.
Hinter der Tür wartete kein weiteres Zimmer auf ihn, sondern
eine schmale Treppe, die in schwindelerregendem Winkel in die
Tiefe führte. Mattgrünes Licht tauchte ihren Fuß in einen
seltsamen Schein, der ihn auf beunruhigende Weise an etwas
erinnerte, ohne dass er genau sagen konnte – oder wollte? –,
woran. Sein Herz begann zu klopfen, und plötzlich fühlte er sich
so schwach, dass er mit der Rechten an der Wand Halt suchte,
während er die Treppe hinunterging.
Der Raum, in den er gelangte, bestand nicht aus Stein, sondern
aus milchigem Eis, das wie unter einem unheimlichen inneren
Feuer zu glühen schien. Auch dieser Anblick erinnerte ihn an
etwas, und jetzt wollte die Erinnerung mit Macht Gestalt
annehmen. Er schmeckte Galle auf seiner Zunge und glaubte ein
seltsames Schaben zu hören, ein Geräusch wie das Kratzen
harter Klauen auf Eis.
Andrejs Hand schloss sich um den Schwertgriff in seinem
Gürtel, als er näher an die eisige Wand herantrat, und sein Herz
schlug jetzt noch schneller. Das Eis war trübe, zugleich aber
auch klar genug, um zu erkennen, dass die Mauer aus gefrorener
Kälte nicht leer war. Gestalten waren darin eingeschlossen,
hochaufgerichtet und mitten in der Bewegung erstarrt: Ein sehr
groß gewachsener, hagerer Mann mit starken Händen, daneben
ein kleiner, dürrer Kerl mit dem hässlichsten Gesicht, das man
sich nur vorstellen konnte, da ein Krieger mit Schild und
Schwert und dem charakteristischen Hörnerhelm der
Nordmänner, dort eine dunkelhaarige, sonderbar

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