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Blutkrieg

Blutkrieg

Titel: Blutkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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lange Nacht zu erinnern, doch es gelang ihm nicht. Es musste
wohl so sein, wie Gryla gesagt hatte: Seine Erinnerungen
verblassten. Und das schneller, als er erwartet hatte. Noch
konnte er sich an Grylas Gesicht erinnern, doch bald würde ihm
auch das nicht mehr gelingen, und vermutlich würde er schon
vergessen haben, dass er überhaupt jemals an diesem
unheimlichen Ort gewesen war, noch bevor sie auf die
Menschen trafen, von denen sie erzählt hatte.
    Vielleicht war das auch gut so.
»Ich frage mich, ob es in diesem verfluchten Land wohl jemals
richtig hell wird«, murrte Abu Dun neben ihm. »Hört denn
    dieser verdammte Tag niemals auf?«
»Vielleicht solltest du dir das besser nicht wünschen«,
antwortete Andrej. »Es könnte immerhin sein, dass eine genauso
lange Nacht folgt, oder?«
Abu Dun sah ihn einen Moment lang erschrocken an, ohne in
seinem mühsamen Schlurfen durch den Schnee innezuhalten.
Dann verzog er das Gesicht zu einer Grimasse. »Du hast eine
kranke Fantasie, Hexenmeister«, maulte er, »hat man dir das
schon einmal gesagt?« Er lachte. »Dabei fällt mir der Traum ein,
den ich vergangene Nacht hatte. Soll ich ihn dir erzählen?«
Natürlich sagte Andrej Nein, aber selbstverständlich ließ sich
der Nubier nicht davon abbringen und berichtete Andrej in allen
Einzelheiten von einem Traum, in dem er von einem halben
Dutzend gesichtsloser Männer überfallen und in die Flammen
eines Lagerfeuers getrieben worden war.
Andrej hörte nicht hin – er kannte diesen Traum –, sondern
hing seinen eigenen Gedanken nach. Doch irgendwann, lange
nachdem Abu Dan mit seiner Geschichte zu Ende gekommen
war, blieb er stehen und sah noch einmal zurück.
Der Hexenfelsen war längst in der immerwährenden
Dämmerung dieses Landes verschwunden, doch für einen
kurzen Moment glaubte er eine einsame Gestalt zu erkennen, die
inmitten des tobenden Schneesturmes stand und ihnen nachsah;
ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann mit Andrejs Gesicht
und mächtigen Schwingen, die sich wie ein bizarrer schwarzer
Mantel um seine tätowierten Schultern schmiegten.
»Was ist los?«, fragte Abu Dun. Auch er war stehen geblieben
und blinzelte angestrengt in dieselbe Richtung, doch Andrej war
sicher, dass er dort nichts sah außer brodelndem Weiß und
grauem Zwielicht.
»Nichts«, sagte er und ging weiter. »Gar nichts …
Aber sag mir, Pirat: Hast du schon einmal von der Hexe Gryla
gehört?«
»Gryla?« Abu Dun überlegte einen Moment. »Du meinst
Gryla mit den dreizehn Söhnen?« Er nickte. »Ja.«
»Vierzehn«, antwortete Andrej. »Ich bin sicher, es sind
vierzehn.«

Wolfsdämmerung
    Der Kerl war tatsächlich noch größer als Abu Dun. Das allein
war nichts Bemerkenswertes. Sie waren auf ihren
jahrhundertelangen Reisen durch fremde Länder auf mehr als
nur einen Mann gestoßen, der es nicht nur an Größe und Wuchs,
sondern auch an Wildheit und Kraft mit dem nubischen Riesen
aufnehmen konnte. Oder es gekonnt hätte, wäre Abu Dun nur
das gewesen, was sein Äußeres versprach.
    Nein, dachte Andrej irritiert, während er seinen Blick zum
wiederholten Male durch die vom beißenden Rauch brennenden
Fichtenholzes erfüllte Gaststube schweifen ließ, das war nichts
Außergewöhnliches.
    Außergewöhnlich war, dass der blonde Riese mit den
verdreckten, bis auf die Schultern fallenden Locken und dem
kaum weniger schmutzstarrenden Bart, in dem man bei genauem
Hinsehen noch die Reste seiner letzten Mahlzeiten ausmachen
konnte, nicht der Einzige seiner Art war.
    Insgesamt hielt sich fast ein Dutzend Männer in der Gaststube
auf, von der ihr Besitzer behauptete, es wäre die beste weit und
breit (leicht gesagt, denn es war die einzige). Der Blonde, der
sich vor einigen Augenblicken unaufgefordert zu ihnen an den
Tisch gesetzt und seinen Bierkrug mit solcher Wucht auf die
rissige Platte geknallt hatte, dass das gesamte Möbelstück ächzte
und klebriges Met in alle Richtungen gespritzt war, gehörte eher
zu den kleineren Exemplaren der Gruppe. Dies und die wilden,
misstrauischen Blicke, mit denen die verdreckten Riesen die
beiden Fremden musterten, wären ein Grund zur Sorge gewesen,
wäre nicht auch er, genau wie der Nubier, nicht das gewesen,
was sein Äußeres versprach.
    Dennoch überlegte er sich seine Worte sehr genau, bevor er
auf die Frage antwortete, mit der der Blonde das Gespräch
eröffnet hatte, ohne sich mit einer Begrüßung oder einer
Höflichkeitsfloskel aufzuhalten. »Nein«, sagte er.

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