Blutkrieg
immer komplizierteren Bewegungen aufeinanderhämmerten, kam es Andrej vor, als kämpfe er mit seinem
eigenen düsteren Spiegelbild, ein Eindruck, der umso stärker
war, als er das Gesicht des anderen nicht erkennen konnte.
Wie auch die übrigen Angreifer war dieser ganz in Schwarz
gekleidet, ein Tuch vor Mund und Nase, über dem nur seine
Augen sichtbar waren; Augen, die dunkel und aufmerksam und
von der gleichen Kraft erfüllt waren, wie Andrej sie sah, wenn
er in den Spiegel blickte.
Aus den Augenwinkeln erkannte Andrej, dass es Abu Dun
noch sehr viel schlechter erging als ihm. Er hätte erwartet, dass
er von den sechs Angreifern mittlerweile mindestens die Hälfte
zu Boden geschickt hätte, doch obwohl einige von ihnen
durchaus aus tiefen Wunden bluteten, hielten sie sich nicht nur
allesamt aufrecht, sondern kämpften auch mit der gleichen
ungestümen Wut wie der einzelne Gegner, dem Andrej
gegenüberstand; als wären auch sie Geschöpfe, denen Schmerz
nichts ausmachte und die durch Verletzungen nicht aufzuhalten
waren. Abu Duns Bewegungen hingegen erlahmten jetzt
zusehends. Konnte es sein, dachte Andrej erschrocken, dass sie
gegen Wesen ihrer eigenen Art kämpften?
Andrej schob den Gedanken beiseite, als sein Gegenüber zu
einem neuerlichen, noch ungestümeren Angriff ansetzte. Er
wusste nicht, ob der Bursche ihn wirklich töten oder nur davon
abhalten sollte, Abu Dun zu Hilfe zu springen, doch ganz egal –
mit jedem keuchenden Atemzug, den Andrej ausstieß, ließen
seine Kräfte nach, während der andere sich noch immer so
rasend schnell und lautlos wie ein Schatten bewegte, als kenne
er keine Erschöpfung. Wenn er diesen Kampf überleben wollte,
musste er ihn schnell beenden. Jetzt.
Andrej wirbelte herum, tauchte unter einem entschieden
geführten Hieb des anderen hinweg und trat dem schwarz
Gekleideten mit aller Kraft in den Leib. Der Mann gab nicht den
geringsten Laut von sich, als habe Andrej ihm keinen Schmerz
zugefügt, doch er wankte allein unter der Wucht des Trittes
zurück, und Andrej setzte ihm nach, schlug seine Klinge mit
einem kraftvollen Schwerthieb beiseite und rammte ihm den
Handballen der linken Hand unter das Kinn. Der Mann stolperte
einen weiteren Schritt zurück, und Andrej schlug noch einmal
zu. Seine vor Kälte steifen Finger stießen nach den Augen des
anderen, verfehlten sie und schrammten nur harmlos über seine
Wange – aber sie rissen das schwarze Tuch hinunter, das seine
Züge verhüllt hatte.
Andrej erstarrte, denn er blickte in sein eigenes Gesicht.
Hätte der andere die Gelegenheit genutzt, ihn wieder zu
attackieren, hätte er die Arme nicht zu seiner Verteidigung
gehoben. Wie gelähmt stand er da, starrte das schmale, scharf
gezeichnete Gesicht mit der markanten Nase und dem
energischen Kinn an, die Augen, die seine eigenen waren, und
er war unfähig, auch nur einen einzigen Gedanken zu fassen,
auch nur zu begreifen, was er da sah.
Der Mann trug sein Gesicht. Nein: Er war er.
Was ihn nicht daran hinderte, plötzlich sein Schwert zu heben
und zu versuchen, die Klinge mitten in Andrejs Gesicht zu
rammen.
Was Andrej schon einmal gedacht hatte, bewahrheitete sich.
Der andere mochte ihm ähneln wie ein Zwillingsbruder, er
mochte fast so schnell sein wie er, aber da war noch eine
Winzigkeit, die das Original von der Nachahmung unterschied,
und diese Winzigkeit brachte die Entscheidung. Ihre Schwerter
gingen nahezu gleichzeitig in die Höhe, doch es war Andrejs
Klinge, die traf – den Bruchteil eines Atemzuges, bevor der
Stahl des anderen in seinen Leib schnitt.
Der Mann keuchte, wich einen einzelnen, torkelnden Schritt
zurück und hätte sein Gleichgewicht zweifellos mit dem
nächsten zurückgewonnen, doch dazu kam er nicht mehr. Sein
Fuß stieß ins Leere, denn in seinem Rücken war kein massiver
Fels mehr, sondern ein zwanzig Meter tiefer Abgrund. Einen
Herzschlag lang kämpfte er noch ebenso verzweifelt wie
vergeblich mit den Armen rudernd um sein Gleichgewicht, dann
kippte er nach hinten und verschwand lautlos in der Tiefe.
Doch er schlug nicht auf dem Felsen auf.
Kurz bevor er auf den harten Grund geprallt wäre, breitete er
die Arme aus, und vor Andrejs ungläubigen Augen wurden sie
zu einem Paar riesiger, schattiger Schwingen, mit denen er sich
lautlos in die Höhe schwang und dann in der Nacht verschwand.
Keuchend wich Andrej zurück, stieß gegen den Felsen und
musste einen halben Herzschlag lang seine ganze Willenskraft
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