Blutlinie
mir Paroli bieten. Nach einer Weile kam ich zu der Sache mit dem Club zurück.
„Du hast mich also schon länger beobachtet. Warum habe ich dich nie gesehen? Im Club hast du dich zum ersten Mal gezeigt.“
Er räusperte sich unbehaglich.
„Das sollte gar nicht passieren. Es war Zufall, dass wir uns über den Weg gelaufen sind.“
„Zufall?“ Ich stutzte. „Du hast mich doch die ganze Zeit angestarrt.“
Bevor ich weiter ausholen konnte, parkte er den Wagen vor einer kleinen Tankstelle.
Wir hatten die nächste Kleinstadt erreicht.
„Wenn du aufs Klo musst, mach schnell, ich muss tanken. Und denke nicht daran, wegzulaufen. Ich kriege dich.“
Und da war wieder diese unnahbare Art. Ich wusste nicht, wie ich ihn nehmen sollte. Hatte ich ihn etwa mit meiner Fragerei gekränkt? Dabei müsste ich doch eingeschnappt sein, schließlich wurde ich ohne Wissen angestarrt. Wer weiß, was ich alles getan hatte! Einmal war ich nur im Schlüpfer durch die Küche getanzt, oh je!
Ich schlug die Hände vor die Augen.
„Noch eine letzte Frage.“
Mein Ton war bittend, sodass er innehielt, wollte gerade aussteigen.
„Wie lange hast du mich observiert?“
Er schien zu überlegen, abzuwägen, ob er es mir wirklich sagen sollte.
„Ach, Scheiß drauf! Seit ungefähr einem Jahr.“
Brandon stieg aus dem BMW, gleichzeitig klappte mir die Kinnlade herunter.
4. No vacancy
„Hallo?“
Verschlafen meldete sich meine Freundin am anderen Ende der Leitung.
„Mary, ich bin’s!“
„Virginia, Süße! Ist irgendwas? Es ist noch so früh. Wie geht’s dir?“
Wie es mir ging? Darüber wollte ich gerade nicht nachdenken. Ich war dabei, meine Freundin anzulügen, durfte ihr nicht die winzigste Kleinigkeit erzählen. Dabei war sie die einzige Person, mit der ich darüber sprechen konnte. Ich hätte so gern einen Rat angenommen, ihre Scherze gehört, in denen sie die ganze Situation durch den Kakao zog. Marys unvergleichliches Aaaaahhhh! Was, der Typ aus dem Club? Brenn mit ihm durch! Oder ihre aufmunternden Worte, dass alles wieder gut werden würde. Wie oft hatte ich ihr schon diese Worte versprochen? Es schien so unendlich weit weg. Wie gern hätte ich mich in ihre Arme geworfen, nach einer unruhigen Nacht, und sie hätte mir versichert, dass alles bloß ein böser Traum war.
„Nicht so gut“, sagte ich stattdessen. „Meine Mutter ist sehr krank und ich bin schon auf dem Weg.“
Meine Stimme schwankte. Sofort war Mary hellwach.
„Oh mein Gott, das ist ja schrecklich!“, rief sie in den Hörer. Man hörte das Entsetzen. „Ich hoffe, dass es nichts Schlimmes ist.“
„Das wissen die Ärzte noch nicht.“
Ich kam ins Stocken. Brandon stand mit mir abseits der Tankstelle und beobachtete mich genauestens. Immer wieder nickte er und machte Zeichen mit der Hand, ich solle weiterreden. Es war erst kurz nach sechs Uhr morgens. Er hatte mich genötigt, Mary jetzt schon zu informieren, damit auch das geklärt war.
„Soll ich hinterherkommen? Ich lasse hier alles Stehen und Liegen“, sagte Mary völlig unvorbereitet und sehr entschlossen. Sie meinte es ernst! Und dafür liebte ich sie.
„Nein, ich schaffe das schon“, wehrte ich schnell ab. „Ich brauche dich dort. Bitte stelle ein Schild ins Fenster vom Geschäft, dass ich bis auf weiteres geschlossen habe. Würdest du das tun?“
„Natürlich, das weißt du doch.“
Sie besaß einen Zweitschlüssel für die Buchhandlung, das machte sich nun bezahlt.
„Und noch eine Bitte: Die bestellten Bücher werden am Vormittag angeliefert. Ruf doch bitte den Zulieferer an, die Nummer liegt an der Kasse. Er heißt Williams. Sag ihm einfach, dass er dir die Exemplare ins Cafè bringen soll. Schreib auf das Schild, dass die Leute sie bei dir dort abholen können. Es sind nur drei. Würde das gehen?“
„Ist gebongt! Das tue ich gern für dich“, versprach sie.
Brandon tippte auf seine Armbanduhr.
„Ich muss leider Schluss machen, Mary. Ich danke dir so sehr.“
„Du weißt, wie lieb ich dich habe.“
„Und ich dich.“
„Ruf mich an, wenn es etwas Neues gibt.“
„Versprochen.“
„Ich wünsche deiner Mom alles Gute.“
„Danke. Mach’s gut.“
„Mach’s besser.“
Ich drückte das Gespräch weg und atmete schwer aus.
„Du kannst gut lügen, hätte ich nicht gedacht“, sagte Brandon anerkennend und zog seine Augenbraue hoch.
„Ich hatte keine andere Wahl“, flüsterte ich niedergeschlagen.
„Steig ins Auto, wir müssen weiter.“
Ihm war es
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