Blutmaske
die
im Marquis tobten; dennoch gewährte er ihm kaum Mitleid.
Der Adlige hatte die Taten seines Sohnes zu lange gedeckt und
hätte es weiterhin getan, wenn er nicht erschienen wäre, um
ihn zur Rede zu stellen. »Das Feuer im Kloster ist sein Werk,
mon Seigneur, daran gibt es keinen Zweifel für mich. In den
Flammen starben mein zweiter Sohn und seine Verlobte.« Er
sah dem Marquis fest in die Augen, doch merkte schon, wie
ihn seine Gefühle zu übermannen drohten. »Das Sterben
muss
enden.«
»Ihr … Ihr verlangt das Leben meines Sohnes?«
Jean berührte den Lauf seiner Muskete. »Ich habe allen Grund,
danach zu trachten. Und wenn wir ihn nicht aufhalten, mon
Seigneur, wird er weiter sein Unwesen treiben und mit der Frau
noch mehr Bestien erschaffen. Denkt an die Menschen Eurer
Heimat!« Er sank vor dem Marquis auf die Knie und hob bittend
die Arme, die leeren Handflächen nach oben gereckt. »Helft
mir, mon Seigneur, Euren Sohn ausfindig zu machen und ihn
zusammen mit seiner Gefährtin zu töten, damit sie den Keim
des Bösen nicht weitergeben.« Tränen liefen ihm über die Wangen.
»Verhindert das Leid weiterer Unschuldiger, ich bitte Euch.
Lasst sie nicht erleiden, was ich erlitten habe.« Er senkte das
Haupt.
De Morangiès schluckte, streckte die rechte Hand aus und
berührte Jeans Schulter. »Steht auf, Chastel. Ich kann … Ich
kann Euren Wunsch unmöglich erfüllen!«
Der Wildhüter stemmte sich mit Hilfe seiner Muskete auf die
Beine. »Euer Sohn ist ein Dämon und kein menschliches Wesen,
mon Seigneur«, flüsterte er. »Durch ihn verbreitet sich dieser
Fluch weiter und weiter. Euer Sohn ist vor mir geflohen.« Dabei
wandte er sich wieder dem Marquis zu. »Er weiß, dass ich sein
Geheimnis kenne.«
De Morangiès rang nach Atem, nahm ein Glas und goss sich
Wein ein, stürzte ihn hinab und schenkte sich wieder nach.
Wieder trank er die Hälfte auf einen Zug. »Vielleicht habt Ihr
Recht, Chastel«, sprach er tonlos. »Vielleicht ist François’ Stunde
und die seiner Gefährtin gekommen. Ich kann und will ihn
nicht länger decken. Meine Zaghaftigkeit tötete genügend Unschuldige,
und mein Gewissen hat sich seit Jahren nach einem
Mann wie Euch gesehnt, Chastel. Ich selbst … ich konnte es
einfach nicht.« Er suchte Jeans Blick, und auf einmal zeigten
seine Augen keine Spur mehr von Unsicherheit. »Aber wenn ich
Euch sagen soll, was ich weiß, habe ich eine Bedingung.«
»Welche wäre es, mon Seigneur?«
»Niemand darf jemals die Wahrheit erfahren. Tötet ihn aus
dem Hinterhalt, in einem vermeintlichen Duell, lasst es nach
einem Kampf aussehen, das ist mir gleich. Aber niemand soll
den Eindruck haben, dass François etwas mit der Bestie des
Gévaudan zu tun hatte.«
»Das werde ich.« Jean verneigte sich, dankbar, die Geschichte
zum Abschluss bringen zu können und die Bestien auszurotten.
»Was wisst Ihr von dieser Sache, Chastel? Lasst uns offen
miteinander sein … Erzählt mir alles.«
»Ich ahne vieles und weiß nichts.« Jean begann mit seinem
Bericht an jenem Tag im Wald bei Vivarais, als sie den
ersten Werwolf erschossen hatten. Wie der Leidensweg von
Antoine begann und er sich immer weiter zu einer mordenden
Bestie entwickelt hatte; wie er seinen Bruder und ihn in Gefahr
gebracht hatte, was ihnen Malesky über die Wandelwesen
berichtet konnte und wie sie Antoine schließlich im Wald töten
mussten. Dabei verschwieg er auch nicht das Gefecht mit den
Unbekannten, die an einem lebenden Werwolf interessiert gewesen
waren.
De Morangiès hörte zu und unterbrach ihn kein einziges Mal,
dann schloss er die Augen. »Es ist, wie Ihr vermutet habt, Chastel
«, gestand er langsam. »Mein Sohn François ist ein Loup-
Garou. Der Fluch traf ihn auf seiner Reise im Mittelmeer, als er
seinem König diente. Von diesem Moment an veränderte sich
mein Junge. Er wurde unstet, änderte seinen Lebenswandel und
wurde ein Herumtreiber, der brutale Neigungen und seinen
Hang zu Frauen auslebte.« Er hob die Lider und sah Jean an. »Er
war einst ein guter, freundlicher Junge, Chastel. Aber die Bestie
in ihm hat ihn zu einem wilden Tier gemacht. Ich wollte es
nicht wahrhaben, dachte an eine Gemütskrankheit oder eine
Bedrückung der Seele und machte mir weis, ich sei schuld. Weil
ich, der bewährte Kämpfer für den König, zu viel von ihm gefordert
hätte. Doch in einer Vollmondnacht sah ich mit eigenen
Augen, was aus ihm geworden war.« Er bedeckte sein Gesicht
erneut mit den Fingern und schluchzte. »Aber er ist
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