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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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wohlig erschöpft von ihren geschlechtlichen
Aktivitäten, und er grübelte und durchlebte immer wieder
die Geschehnisse bei Genetron, sorgte sich um die Implikationen, das
zugegebenermaßen übereilte und unbedachte Injizieren
seiner veränderten Lymphozyten in seinen Blutkreislauf, seine
Unfähigkeit, sich auf die nächsten Schritte zu
konzentrieren.
    Er starrte zur dunklen Decke auf, dann kniff er die Augen zu, um
die Phosphenmuster zu beobachten. Um den Effekt zu verstärken,
führte er die Hände zu den Augen und drückte mit den
Zeigefingern von außen gegen die Lider. Heute nacht konnte er
sich jedoch nicht mit psychedelischen Augenlider-Filmen unterhalten.
Nichts als warme Dunkelheit kam, untermalt von kurzen
Lichterscheinungen, die so fern und unbestimmt waren wie
Mündungsfeuer von einem anderen Kontinent.
    Jenseits des Grübelns, doch hellwach, überließ er
sich ziellos schweifenden Gedanken und einer Aufmerksamkeit, die kein
besonderes Ziel hatte…
    … bemüht, auf den Morgen zu warten…
    Gedanken an alle verlorenen Dinge zu meiden
    und an alle kürzlich gewonnen, die verloren gehen
könnten
    er ist nicht bereit
    und dennoch bewegt er und erschüttert
    noch als Verlierer.
     
    Am Sonntagmorgen der dritten Woche:
    Candice reichte ihm eine Tasse heißen Kaffees. Sekundenlang
starrte er darauf. Etwas stimmte nicht mit der Tasse und ihrer Hand.
Er tastete nach der Brille, sie aufzusetzen, aber mit den
Gläsern sah er auch nicht deutlicher, und seine Augen
schmerzten. »Danke«, murmelte er, nahm ihr die Tasse ab und
rückte im Bett aufwärts, bis er das Kopfkissen im
Rücken hatte. Dabei verschüttete er ein wenig vom Kaffee
auf die Laken.
    »Was hast du heute vor?« fragte sie. (Die Zeitung nach
Stellenangeboten durchforschen? Die Frage schien dahinterzustehen,
aber Candice legte nie besonderen Wert auf Verantwortung und stellte
keine Fragen nach seinen Geldmitteln.)
    »Sehen, ob es Arbeit gibt, denke ich«, sagte er. Wieder
blinzelte er durch die Brille und hielt sie dabei mit einer Hand an
der Schläfe.
    »Ich«, sagte sie, »werde eine Anzeige zum Büro
bringen und an dem kleinen Gemüsestand unten an der Straße
einkaufen. Dann werde ich mir eine Mahlzeit zubereiten und sie allein
essen.«
    Er schaute sie verdutzt an.
    »Was hast du«, fragte sie.
    Er nahm die Brille ab. »Warum allein?«
    »Weil ich finde, daß du anfängst, mich für
selbstverständlich zu halten. Das gefällt mir nicht. Ich
spüre, daß du mich akzeptierst.«
    »Was ist daran auszusetzen?«
    »Nichts«, sagte sie in geduldigem Ton. Sie hatte sich
zum Ausgehen angezogen und das Haar gekämmt, das ihr nun lang
und schimmernd auf die Schultern hing. »Ich möchte einfach
nicht das Gewürz verlieren.«
    »Gewürz?«
    »Sieh mal, jede Beziehung hat dann und wann nötig,
daß das Kätzchen die Krallen zeigt. Ich fange an, dich als
einen jederzeit verfügbaren jungen Hund zu sehen, und das ist
nicht gut.«
    »Nein«, sagte Vergil. Er schien zerstreut.
    »Hast du letzte Nacht nicht geschlafen?« fragte sie.
    »Nein«, sagte Vergil. »Nicht viel.« Er schaute
verwirrt drein.
    »Was gibt es sonst noch?«
    »Ich sehe dich ganz deutlich«, sagte er.
    »Siehst du? Du nimmst mich als gegeben hin.«
    »Nein, ich meine… ohne Brille. Ich kann dich ohne Brille
ganz deutlich sehen.«
    »Na, wie schön für dich!« sagte Candice
mit katzenhafter Sorglosigkeit. »Ich werde dich morgen anrufen.
Sorge dich nicht.«
    »O nein«, sagte Vergil und drückte sich die
Fingerspitzen gegen die Schläfen.
    Leise schloß sie die Tür hinter sich.
    Er blickte im Zimmer umher.
    Alles war wunderbar scharf. Er hatte seine Umgebung nicht mehr so
klar gesehen, seit die Masern ihm in seinem siebten Jahr das
Augenlicht geschädigt hatten.
    Das war die erste Verbesserung, von der er überzeugt war,
daß er sie nicht Candice zuschreiben konnte.
    »Gewürz«, sagte er und zwinkerte zu den
Gardinen.

 
6
     
    Vergil hatte, so schien es ihm, Wochen in Büros wie diesem
verbracht: beigefarbene Wände, graues Stahlmobiliar mit
säuberlich geordneten Stößen von Papieren,
Eingang-Ausgang-Körben und einem Mann oder einer Frau, die in
höflichem Ton psychologisch effektvolle Fragen stellten. Diesmal
war es eine Frau, üppig und gut gekleidet, mit einem
freundlichen, geduldigen Gesicht. Vor ihr lag seine Bewerbung auf dem
Tisch, und das Ergebnis eines psychologischen Tests. Er hatte
längst gelernt, wie man derartige Tests bestand: Wollen sie eine
Skizze haben, darfst du keine

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