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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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in
Livermore Laboreinrichtungen geben mochte, die er verwenden
könnte. Wer glich mehr dem Dr. Strangelove – die
Waffenentwickler oder der gute alte Vergil I. Ulam?
    Die Pizza wurde serviert, und er blickte auf den zerlaufenen
Käse, die fettige Salami, die anderen Zutaten. »Sonst hast
du dieses Zeug immer gemocht«, sagte er sich mit halblauter
Stimme. Er stocherte und schnippelte an der Pizza herum und aß
den Salat auf. Das schien zu genügen. Er ließ den
größten Teil seiner Mahlzeit auf dem Tisch zurück,
wischte sich den Mund, lächelte dem jungen Mädchen hinter
der Registrierkasse zu und ging wieder hinaus zu seinem Wagen.
    Vergil freute sich nicht auf Besuche bei seiner Mutter. Er
brauchte sie, in einer ungewissen und ärgerlichen Art und Weise,
aber er hatte keine Freude daran.
    April Ulam lebte in einem gut unterhaltenen, hundert Jahre alten
zweistöckigen Haus, unweit der First Street. Das Haus war
waldgrün gestrichen und hatte ein Mansardendach. Zwei kleine
Gärten, mit schmiedeeisernen Gittern eingezäunt,
flankierten die steilen Eingangsstufen – ein Garten war für
Blumen und Kräuter, der andere für Gemüse. Die
überdachte Veranda war verkleidet und hatte eine mit Fliegengaze
bespannte Lattentür, deren Scharniere quietschten und die von
einer protestierenden Stahlfeder selbsttätig geschlossen wurde;
der Zutritt zum eigentlichen Haus erfolgte durch eine schwere dunkle
Eichentür mit einem facettierten Glasfenster und einem
löwengesichtigen Türklopfer aus Messing.
    Keine dieser Annehmlichkeiten war unerwartet, wenn sie zu einem
alten Haus in einer Kleinstadt gehörten. Aber dann erschien
seine Mutter, schlank und graziös in fließender
lavendelfarbener Seide und golden schimmernden hochhackigen Schuhen.
Ihr rabenschwarzes Haar war an den Schläfen kaum angegraut, und
als sie herauskam, die Lattentür öffnete und in den
Sonnenschein hinaustrat, begrüßte sie Vergil mit einer
reservierten Umarmung und führte ihn dann hinein durch die
Diele, seine Hand im leichten Griff ihrer dünnen kühlen
Finger.
    Im Wohnzimmer setzte sie sich auf eine mit grauem Samt bezogene
Chaiselongue. Ihr Seidengewand umgab sie wie mit welken
Blütenblättern. Das Wohnzimmer paßte insofern zum
Haus, als es mit Gegenständen möbliert war, die eine
ältere Frau (nicht seine Mutter) im Laufe eines langen und
mäßig interessanten Lebens um sich gesammelt haben mochte.
Außer der Chaiselongue gab es eine prall gestopfte Couch mit
blauem Blumendekor, einen in Messing gefaßten runden Tisch mit
arabischen Sprichwörtern, die in konzentrischen Kreisen um
abstrakt geometrische Ornamente angeordnet waren, Nachahmungen von
Tiffany-Lampen in drei Winkeln, und in der vierten eine verwitterte
chinesische Kwan-Yin-Statue, aus einem zwei Meter langen
Teakholzstamm geschnitzt. Sein Vater – in allen Gesprächen
einfach »Frank« genannt – hatte die Statue von einer
Seereise mit der Handelsmarine aus Taiwan mitgebracht; sie hatte den
dreijährigen Vergil halb zu Tode geängstigt.
    Frank hatte sie beide in Texas verlassen, als Vergil zehn Jahre
alt gewesen war. Sie waren dann nach Kalifornien gezogen. Seine
Mutter hatte nicht wieder geheiratet und dies damit begründet,
daß es ihre Optionen einschränken würde. Vergil war
nicht einmal sicher, ob seine Eltern geschieden waren. Er erinnerte
sich an seinen Vater als einen dunkelhaarigen Mann mit scharf
geschnittenem Gesicht, scharfer Stimme, nicht tolerant und nicht
intelligent, mit einem dröhnenden Lachen, das vornehmlich in
Augenblicken der Verlegenheit und Unsicherheit hinausgeschmettert
wurde. Noch jetzt konnte er sich nicht vorstellen, daß seine
Eltern zusammen ins Bett gegangen sein, geschweige denn elf Jahre
zusammengelebt haben konnten. Er hatte Frank nicht vermißt,
außer in einer theoretischen Art und Weise, wie ein Junge einen
Vater vermißt, der sich seiner Sorgen annehmen, ihm bei den
Hausaufgaben helfen und eine Zuflucht sein konnte, wenn er
Schwierigkeiten hatte, ein Kind zu sein. Diese Art von Vater hatte er
immer vermißt.
    »Also arbeitest du nicht«, sagte April und musterte
ihren Sohn mit einem Ausdruck, der als gelinde besorgt ausgelegt
werden konnte.
    Vergil hatte seiner Mutter nichts von seiner Entlassung gesagt und
stellte sich nicht einmal die Frage, wie sie davon wissen konnte. Sie
war ihrem Mann intellektuell überlegen gewesen und konnte es an
Schlagfertigkeit noch immer leicht mit ihrem Sohn aufnehmen, dem sie
in praktischen und weltlichen

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