Blutmusik
behördlichen
und betrieblichen Richtlinien hinweggesetzt und auf eigene Faust
gentechnische Experimente mit rekombinierter Säugetier-DNS
durchgeführt. Ich habe den starken Verdacht, daß Sie diese
Person sind.« Sie lächelte freundlich. »Habe ich
recht?«
Bei Genetron war seit mehr als einem Jahr niemand entlassen worden
oder von sich aus gegangen. Er nickte.
»Er war ziemlich aufgeregt. Er sagte, Sie seien brillant,
würden aber jede Firma, die Sie einstellt, in Schwierigkeiten
bringen. Und er sagte, er habe Ihnen gedroht, Sie auf die schwarze
Liste zu setzen. Nun weiß ich so gut wie er, daß solch
eine Drohung unter der heutigen Arbeitsgesetzgebung und den
potentiellen Aussichten eines Rechtsstreites wirklich nicht viel
bedeuten kann. Aber diesmal wissen wir durch Zufall mehr über
Sie, als wir wissen sollten. Ich bin ganz offen mit Ihnen, denn es
sollte hier kein Mißverständnis geben. Unter Druck werde
ich leugnen, etwas davon gesagt zu haben. Mein eigentlicher Grund,
daß ich Ihre Einstellung nicht befürworten kann, ist Ihr
psychologisches Profil. Die einzelnen Elemente Ihrer Zeichnungen sind
zu weit voneinander getrennt und lassen auf eine ungesunde Vorliebe
für Selbstisolation schließen.« Sie gab ihm seine
Bewerbungsunterlagen zurück. »Können Sie das
verstehen?«
Vergil nickte. Er nahm seine Mappe und stand auf. »Sie kennen
Rothwild nicht einmal«, sagte er. »Dies ist mir schon
sechsmal passiert.«
»Nun ja, Mr. Ulam, unsere Industrie steckt noch in den
Kinderschuhen, existiert erst seit knapp fünfzehn Jahren. Wenn
es um gewisse Dinge geht, verlassen die Firmen sich noch immer
aufeinander. Vorn auf der Bühne die schlimme Konkurrenz, die man
der Halsabschneiderei bezichtigt, aber hinter den Kulissen hilft man
sich gegenseitig aus. Es war interessant, mit Ihnen zu sprechen, Mr.
Ulam. Guten Tag.«
Draußen vor der weißgetünchten Betonfassade
blinzelte Vergil in den Sonnenschein. Soviel zur Wiedergewinnung der
Lymphozyten, dachte er.
Das ganze Experiment würde bald zu nichts verblassen.
Vielleicht war es ganz gut so.
7
Er fuhr nordwärts durch weißgoldenes, mit krummen
Eichen gesprenkeltes Hügelland, vorbei an himmelblauen Seen, die
von den Regenfällen des vergangenen Winters tief und klar lagen.
Der Sommer war bisher mild gewesen, und selbst im Inland war die
Temperatur nicht über dreißig Grad gestiegen.
Der Volvo schnurrte die endlose Strecke der Bundesstraße 5
entlang, durch Baumwollfelder, dann durch grüne
Nußbaumpflanzungen. In den Vororten von Tracy bog Vergil in die
Staatsstraße 580 ein. Sein Sinn war beinahe frei von Gedanken,
das Autofahren ein Linderungsmittel für seine Sorgen.
Wälder von Propellern auf Masten drehten sich zu beiden Seiten
der Straße im Gleichmaß; jeder der riesigen schwingenden
Flügel war annähernd zwanzig Meter lang.
Er hatte sich im Leben nicht besser gefühlt, und er machte
sich Sorgen. Seit zwei Wochen hatte er nicht geniest, und das mitten
in der Heuschnupfenzeit. Als er das letzte Mal Candice gesehen hatte,
um ihr zu sagen, daß er nach Livermore fahren und seine Mutter
besuchen wolle, hatte sie seine Hautfarbe erwähnt, die sich von
fahler Blässe zu einem frischen Pfirsichrosa verändert
hatte, und sein Befreitsein vom Schnupfen.
»Jedesmal, wenn ich dich sehe, Vergil, siehst du besser
aus«, hatte sie lächelnd gesagt und ihn geküßt.
»Komm bald wieder! Ich werde dich vermissen. Und vielleicht
werden wir mehr Gewürz finden.«
Er sah besser aus, fühlte sich besser – und hatte keine
Erklärung dafür. Er war nicht sentimental genug zu glauben,
daß Liebe alles bewirkte, selbst wenn er seine Empfindungen
für Candice Liebe nannte. War es Liebe?
Etwas anderes.
Er mochte nicht darüber nachdenken, also fuhr er. Nach zehn
Stunden verspürte er eine unbestimmte Enttäuschung, als er
in die South Vasco Road einbog und südwärts ins
Stadtzentrum von Livermore fuhr, einer kalifornischen Kleinstadt mit
alten Backsteingebäuden, hölzernen Farmhäusern, die
nun von Vororten umringt waren, Einkaufszentren, die denen in jeder
anderen kalifornischen Stadt glichen… und am Stadtrand das
Lawrence Livermore National Laboratory, wo neben vielen anderen
Forschungsprojekten Atomwaffen entwickelt wurden.
Er hielt vor Guineveres Pizzabäckerei und zwang sich, eine
mittelgroße Pizza, Salat und eine Cola zu bestellen.
Während er in der pseudomittelalterlich eingerichteten Gaststube
saß und wartete, überlegte er müßig, ob es
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