Blutmusik
kommunizierten, welche chemische
Sprache sie gebrauchten. Und wenn sie nicht direkt mit ihm sprechen
wollten, würde er einen Weg finden, zu ihnen zu sprechen. Sie
vielleicht zu beherrschen. Pharmek verfügte über alle
notwendigen Fachleute und Einrichtungen, über alles, was Ulam
zur Verfügung gehabt hatte, um mehr; falls erforderlich, konnten
sie die Experimente wiederholen und von vorn anfangen.
Bernard bezweifelte, daß es dafür eine Erlaubnis geben
würde. Von Gesprächen mit Paulsen-Fuchs und anderen
Pharmek-Fachleuten hatte er den Eindruck gewonnen, daß
gegenwärtig eine stürmische Auseinandersetzung um ihn
tobte.
Nachdem er eine kurze Inventur der Ausrüstung gemacht hatte,
fing er damit an, daß er sein Gedächtnis in
Verfahrensfragen auffrischte, indem er die Gebrauchsanweisungen und
Handbücher las. Nach ein paar Stunden wurde er dessen müde
und machte einen Eintrag in sein Computer-Notizbuch, obwohl er sehr
wohl wußte, daß es nicht privat bleiben, sondern jetzt
oder später von Pharmek-Leuten und Behördenvertretern
gelesen würde – Psychologen, vielleicht. Alles über
ihn war jetzt wichtig.
Es gibt keinen mir bekannten biologischen Grund, warum
das uns bekannte Leben auf der Erde nicht bereits zugrunde
gegangen ist. Die Seuche ist anpassungsfähig, kann jedes
Lebewesen umwandeln. Aber Europa bleibt frei – ausgenommen
verstreute Einzelfälle –, und ich zweifle daran,
daß es ein Verdienst der scharfen Maßnahmen ist.
Vielleicht wird die Antwort auf die Frage, warum ich atypisch
für den Ablauf der Seuche bin, dieses andere Geheimnis
erklären. Morgen werde ich mir wieder Blut und Gewebeproben
entnehmen lassen, aber nicht alles davon wird aus der Kammer
entfernt. An Teilen dieser Proben werde ich selbst arbeiten,
insbesondere an Blut und Lymphe.
Er zögerte, die Finger über der Tastatur, und war im
Begriff, weiterzuschreiben, als Paulsen-Fuchs in den Nebenraum kam
und mit einem Summton um seine Aufmerksamkeit bat.
Bernard drehte sich auf seinem Stuhl herum. »Guten Tag.«
Wie seit einiger Zeit üblich, war er nackt. Eine Kamera in der
oberen rechten Ecke des Nebenraumes nahm ihn kontinuierlich auf und
gab die Konturen und Besonderheiten seines Körpers zur Analyse
in den Computer ein.
»Kein guter Tag, Michael«, antwortete Paulsen-Fuchs.
Sein langes Gesicht war noch länger und hagerer als sonst.
»Als hätten wir nicht schon genug Probleme, sehen wir uns
nun der Möglichkeit eines Krieges gegenüber.«
Bernard stand auf und trat zum Fenster, hinter dem der andere eine
britische Tageszeitung aufschlug. Die Schlagzeile sandte ihm einen
kalten Schauer über den Rücken.
RUSSISCHER ATOMSCHLAG GEGEN PANAMAKANAL
»Wann?« fragte er.
»Gestern nachmittag. Kuba meldete eine über den Atlantik
ziehende radioaktive Wolke. Militärische Nachrichtensatelliten
der Nato entdeckten die heiße Stelle. Ich vermute, daß
die Militärs schon vorher Bescheid wußten – sie
müssen ihre Seismographen oder was immer haben –, aber die
Presse und die Rundfunkanstalten erfuhren erst heute früh, was
geschehen war. Die Russen setzten neun oder zehn Raketen mit
Gefechtsköpfen von jeweils einer Megatonne ein, wahrscheinlich
von einem U-Boot abgeschossen. Die gesamte Kanalzone ist…«
Er schüttelte den Kopf. »Von den Russen gibt es keine
Stellungnahme. In Deutschland glaubt die Hälfte der
Bevölkerung, daß wir noch in dieser Woche angegriffen
werden. Die andere Hälfte ist betrunken.«
»Gibt es Nachrichten vom Kontinent?« So bezeichnete man
seit kurzem Nordamerika: der Kontinent, das wirkliche Zentrum der
Geschehnisse.
»Nichts«, sagte Paulsen-Fuchs und warf die Zeitung auf
den Tisch.
»Glauben Sie – und die anderen Europäer –,
daß die Russen in Nordamerika eindringen werden?«
»Die Meinungen sind geteilt. Manche rechnen jeden Tag damit.
Sie könnten sich auf das Recht berufen, herrenloses Gut in
Besitz zu nehmen.« Er schmunzelte.
»Ich bin kein Anwalt, aber sie werden sich schon die
richtigen Begründungen ausdenken und in Genf rechtfertigen, wenn
sie Genf nicht inzwischen auch bombardiert haben.« Er beugte
sich über den Tisch, beide Arme rechts und links neben der
Zeitung aufgestützt. »Niemand ist darauf vorbereitet, die
Frage zu erörtern, was mit ihnen geschehen wird, wenn sie sich
zu einer Besetzung Nordamerikas entschließen. Die amerikanische
Exilregierung möchte mit ihren in Europa stationierten Truppen
und Marineeinheiten drohen, aber die
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