Blutmusik
Wir
haben Veränderungen im Charakter der Landschaft – oder
vielleicht sollte ich sagen, der Biostrukturen – gesehen,
Veränderungen in Farbe und Form, doch ist uns eine
Interpretation dessen, was wir unter uns vorbeiziehen sehen,
schlechterdings unmöglich. Es ist, als überflögen wir
eine völlig neue, fremde Welt, und unsere beiden Wissenschaftler
sind viel zu sehr mit Ablesungen und Tonbanddiktaten ihrer
Beobachtungen beschäftigt, als daß sie uns Journalisten
Theorien oder Hypothesen, die sie möglicherweise entwickelt
haben, mitteilen könnten.
Jetzt liegt Indianapolis unter uns, genauso geheimnisvoll,
unbegreiflich, fremdartig und… ja… schön wie die
anderen Megaplexe. Einige der Strukturen hier scheinen annähernd
so hoch zu sein wie die Gebäude, die sie ersetzen, vielleicht
einhundert oder zweihundert Meter hoch, und jetzt werfen sie im
späten Tageslicht lange Schatten. Bald wird sich der Zeitablauf
für uns beschleunigen, wenn wir auf Ostkurs gehen, und die Sonne
wird untergehen. Die Atmosphäre ist bemerkenswert klar –
keine Industrie, keine Automobile –,doch wer kann sagen, welche
Art von Umweltverschmutzung eine lebende Landschaft verursachen mag,
die nicht durch Photosynthese Sauerstoff erzeugt und so lufterneuernd
wirkt? Was an Verseuchung vor sich geht, scheint jedenfalls nicht in
die Atmosphäre abgegeben zu werden.
Ja, das wird von unseren Wissenschaftlern bestätigt. Als wir
in geringer Höhe Chikago überflogen, zeigten die
Meßergebnisse praktisch reine Luft an, frei von Rauch und
Abgasen, und diese Reinheit der Luft zeigt sich auch in den klaren
Farben des Horizonts. Die Luft ist zudem feucht und für die
Jahreszeit ungewöhnlich warm. Vielleicht wird es in Nordamerika
dieses Jahr keinen Winter geben, denn inzwischen müßten
Chikago und die anderen überflogenen Städte bereits unter
dünnen Schneedecken liegen. Aber es gibt keinen Schnee, nur
Regen, warm und in großen Tropfen. Wir haben Gebiete mit
dichter Bewölkung überflogen, aber nirgendwo Schnee oder
Eis gesehen.
Ja. Ja. Ich sah es auch. Wie eine Feuerkugel sah es aus, eine Art
Meteor vielleicht, bemerkenswert – Und mehrere andere,
anscheinend…
(Laute Stimmen im Hintergrund, ein Alarmsignal.)
Großer Gott! Das war anscheinend der Wiedereintritt eines
ausgedienten Satelliten in die obere Atmosphäre, vielleicht ein
paar Dutzend Kilometer entfernt. Detektoren an Bord der Maschine
geben Strahlungsalarm. Die Besatzung hat alle Notsysteme aktiviert,
und wir befinden uns jetzt in einem steilen Steigflug aus der
Gefahrenzone, mit… ja… nein, wir gehen tiefer und zeigen
dem Objekt, was immer es war, ein Heckprofil…
Hier wird davon gesprochen, daß die Feuerkugel
möglicherweise eine wieder in die Erdatmosphäre eintretende
Interkontinentalrakete war, die jedoch nicht zündete,
andernfalls würden wir kaum noch hier sein, und nun…
(Mehr Stimmen, die verwirrt durcheinander rufen; weitere
Alarmsignale.)
Großer Gott! Nein! Ich fürchte, wir können die
Maschine nicht mehr abfangen. Die meisten Instrumente und die
Triebwerke sind ausgefallen, und wir sind in einem antriebslosen
Sturzflug. Noch ist die Radioverbindung intakt, aber…
(Ende der Sendung RB-IH. Ende der Direktübertragung Lloyd
Upton für das Sendernetz Europäischer Rundfunkanstalten.
Ende der wissenschaftlichen Telemetrie.)
34
Bernard lag auf dem Feldbett, einen Fuß am Boden, das andere
Bein angezogen und den Fuß gegen eine Falte in der Matratze
gestützt. Er hatte sich seit einer Woche weder rasiert noch
gebadet. Seine Haut war gezeichnet von weißlichen Schwielen,
und aus den Schienbeinen hatten sich beulenartige Auswüchse
entwickelt, die bis zu den Mittelfußknochen reichten. Sogar
unbekleidet sah er aus, als trage er ausgestellte Hosen.
Ihm war es gleich. Mit Ausnahme seiner einstündigen Sitzung
mit Paulsen-Fuchs und seiner täglichen Untersuchung, die etwa
zehn Minuten in Anspruch nahm, verbrachte er einen großen Teil
seiner Zeit auf dem Feldbett, wo er, die Augen geschlossen, mit den
Noozyten kommunizierte. Den Rest der Zeit widmete er dem
Bemühen, die chemische Sprache zu entschlüsseln. Er hatte
wenig Hilfe von den Noozyten erhalten. Das letzte Gespräch
über den Gegenstand hatte drei Tage zuvor stattgefunden.
Deine Konzeption ist nicht vollständig, nicht
richtig.
- Sie ist noch nicht fertig.
Warum läßt du deine Kameraden nicht mit der Arbeit
fortfahren? Es kann mehr erreicht werden, wenn du deine
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