Blutnacht
sich das Gesicht. »Eine Psychotikerin als Vorhut. Glaubst du, er könnte Erna für mehr als nur das verwendet haben? Was wäre, wenn er sie Julie hätte umbringen lassen? Erna war groß genug, um jemanden wie Julie zu überwältigen, besonders in den beengten Räumlichkeiten der Toilette. Eine Frau würde auch erklären, warum es keine Spermaspuren gab und es nicht zu einer Vergewaltigung gekommen ist. Und wir haben gerade gehört, dass sie lichte Augenblicke haben konnte.«
»Relativ lichte Augenblicke«, erwiderte ich. »Der Mord an Julie war zu gut geplant und durchdacht für jemanden mit einer Psychose. Nicht ein winziges forensisch verwertbares Indiz ist am Tatort zurückgeblieben. Man hätte bei Erna nicht mit einer solch peniblen Sorgfalt rechnen können. Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Hier läuft was anderes ab – ›E. Murphy‹ hat vor einem Jahr eine Kritik über Vassily Levitch geschrieben. Die Prosa war schwülstig, aber nicht verworren genug, um von Erna stammen zu können. Ihr Name wurde enteignet. Es ist eine Art Identitätsdiebstahl.«
»Schlauer Freund«, sagte Milo. »Lynnette war überzeugt, dass sich Erna in dieser Hinsicht Illusionen hingab.«
»Bezüglich einer romantischen Beziehung hat sie das wahrscheinlich getan. Ernas ästhetische Interessen, die Tatsache, dass sie eine gewisse Erziehung genossen hatte, sich zwischenzeitlich gut ausdrücken konnte, könnten sie für jemanden wie Kevin Drummond anziehend gemacht haben.
Einige Idioten glauben immer noch, verrückt zu sein sei schick. Aber welches Band auch zwischen ihnen bestand, Kevin hat darauf geachtet, sie auf Abstand zu halten. Seine Hausverwalterin hat sie nie in der Nähe seiner Wohnung gesehen, und niemand, mit dem Petra sprach, hat die beiden miteinander in Verbindung gebracht.«
»Er idealisiert sie, dann tötet er sie.«
»Sie hörte auf, in sein Weltbild zu passen, und wurde zu einer Bedrohung.«
»Kalt«, sagte er. »Das ist eine Sache, die zu allem passt. Kaltherzig. Wie in Baby Boys Song. Ich habe eine seiner CDs gekauft und sie mir angehört, versucht, ein paar Einsichten zu gewinnen.«
»Mit Erfolg?«
»Er war ein verdammt guter Gitarrist; sogar ein unmusikalischer Typ wie ich kann hören, dass er seine Seele mit diesem Instrument verströmt. Wusstest du, dass dein Name auf dem Album ist?«
»Wovon redest du?«
»Klein gedruckt, ganz unten, wo er jedem dankt von Jesus Christus bis Robert Johnson. Eine lange Liste, Robin steht auch drin. Er nennt sie ›die schöne Gitarrenlady‹ und dankt ihr dafür, dass sie seine Instrumente glücklich macht. Dann kommst du. Irgendwas in der Art von ›Ich danke Dr. Alex Delaware dafür, dass er die Gitarrenlady glücklich macht.‹«
»Ist eine Weile her, dass das zutraf.«
»Tut mir Leid«, sagte er. »Ich dachte, du würdest es lustig finden.«
Ich startete den Wagen und fuhr auf dem Hollywood Boulevard nach Westen. Bauarbeiten brachten uns bald zum Stillstand. Männer mit Schutzhelmen liefen hektisch umher. Ein paar Meilen weiter im Norden, in den Bergen, stand das Hollywood-Schild, wo ein Starlet vor einigen Jahrzehnten ihrem Leben ein Ende gesetzt hatte und China Marangas Leiche der Verwesung preisgegeben worden war. Ich schlug nicht vor, dort hochzufahren, und Milo tat es ebenfalls nicht. Es war zu lange her, um noch von Bedeutung zu sein.
Wir krochen zur Vine Street. Er sagte: »Erna. Eine enteignete Seele.«
»Jemand, der Menschen benutzt«, erklärte ich. »Das ist es, worum sich hier alles dreht.«
29
Encino. Petra verdaute die Einzelheiten von Milos Anruf. Die Identifizierung als E. Murphy bedeutete, dass der Mord an der Rothaarigen ebenfalls in ihrem Korb landen würde.
Sie rief Eric Stahl an und brachte ihn auf den neuesten Stand.
»Okay«, sagte er mit dieser tonlosen Stimme, die einen zur Raserei bringen konnte. Nichts beeindruckt mich.
»Wollen Sie weiter nach Kevin Ausschau halten?«, fragte sie.
»Wahrscheinlich Zeitverschwendung.«
»Wieso?«
»Ich glaube nicht, dass er hier bald vorbeikommen wird«, antwortete Stahl.
»Ich beobachte nach wie vor das Haus seiner Eltern. Bis jetzt ist noch nichts passiert, aber ich will dabeibleiben. In der Zwischenzeit sollten wir uns wohl in Erna Murphys Vorgeschichte vertiefen. Wenn Sie wirklich glauben, dass Kevins Bude nichts bringt, fangen Sie ruhig damit an.«
»Klar.«
Schweigen.
Petra hatte den längeren Atem. Er fragte »Gibt es einen Punkt, wo ich Ihrer Ansicht nach anfangen
Weitere Kostenlose Bücher