Blutnacht
Wochen, alle, die wir hier haben, sind ein wenig labil. Diese Bilder, die Sie mir gezeigt haben, wären zu viel für sie.«
»Wie wäre es damit«, sagte Milo, »wir zeigen ihnen kein Bild, wir reden nur. Und Sie kommen mit uns, um dafür zu sorgen, dass wir es richtig machen.«
Noch ein Blickwechsel zwischen Witherspoon und Petrello. Er sagte: »Ich schätze, das wird gehen. Aber beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten hören wir auf, okay?«
Witherspoon kehrte an seinen Schreibtisch zurück, während Milo und ich hinter Diane Petrello laut protestierende Treppenstufen hinaufgingen. Die oberen Stockwerke waren in einzelne Zimmer aufgeteilt, die an einem langen, türkisgrünen Gang lagen. Die Frauen waren im ersten Stock untergebracht, die Männer im zweiten. Jedes Zimmer war mit einem Etagenbett ausgestattet. Bibeln auf dem Kopfkissen, ein kleiner Schrank, religiöse Poster.
Die Hälfte der Frauen war schläfrig. Erna Murphys Name löste nur ausdruckslose Blicke aus, bis eine junge dunkelhaarige Frau namens Lynnette mit dem Gesicht eines Fotomodells und alten Einstichnarben in den Armbeugen sagte: »Big Red.« »Sie kennen sie?«
»War zweimal mit ihr in einem Zimmer.« Lynnettes Augen waren riesig und schwarz und wirkten verletzt. Ihre Haare waren lang, dunkel und fettig. Ein tätowierter Stern von der Größe eines Sheriff-Abzeichens zierte die linke Seite ihres Halses. Eine Ader verlief durch die Mitte des Tattoos und ließ die blaue Tinte pulsieren. Ein langsamer Puls, stetig, gelassen. Sie saß auf der Kante eines unteren Betts, die Bibel neben einem Arm, eine Tüte Fritos neben dem andern. Ihr Rücken war gekrümmt wie der einer alten Frau. Die heruntergezogenen Mundwinkel verrieten, dass sie auf ihre persönliche Sicherheit keinen Wert mehr legte. »Was ist mit ihr passiert?«
»Sie ist leider tot, Ma’am.«
Lynnettes Pulsschlag blieb schleppend. Dann wirkten ihre Augen auf einmal amüsiert.
»Ist irgendwas lustig, Ma’am?«, fragte Milo.
Lynnette grinste ihn schief an. »Das einzig Lustige ist Ihr ›Ma’am‹. Was ist, hat sie jemand umgebracht?«
»Wir sind nicht sicher.«
»Vielleicht war es ihr Freund.«
»Welcher Freund wäre das?«
»Weiß ich nicht. Sie hat mir nur erzählt, sie hätte einen und dass er richtig schlau wäre.«
»Wann hat sie Ihnen das erzählt?«, fragte Milo.
Lynnette kratzte sich am Arm. »Muss lange her sein.« An Petrello gewandt: »Kann nicht das letzte Mal gewesen sein, als ich hier war, vielleicht ein paar Mal davor?«
»Vor Monaten«, sagte Petrello.
»Ich war auf Reisen«, erklärte Lynnette. »Muss Monate her sein.«
»Auf Reisen«, sagte Milo.
Lynnette lächelte. »Quer durch die Staaten. Ja, muss Monate her sein – könnten sechs oder sieben sein, weiß nich! Ich erinnere mich nur daran, weil ich dachte, es wär Quatsch. Weil wer würde die schon wollen? Sie war ein Stinktier.«
»Sie konnten sie nicht leiden?«
»Was war da schon zu leiden?«, entgegnete Lynnette. »Sie war durchgeknallt, fing ein Gespräch mit dir an, dann war sie ganz woanders, fing an rumzulaufen und mit sich selbst zu reden.«
»Was hat sie sonst noch über diesen Freund gesagt?«, wollte Milo wissen.
»Nur das.«
»Schlau.«
»Yeah.«
»Kein Name?«
»Nee.«
Milo trat näher an das Bett heran. Diane Petrello stellte sich zwischen ihn und Lynnette, und er zog sich zurück. »Wenn es irgendetwas gibt, was Sie uns über den Freund erzählen können, würde ich es wirklich zu schätzen wissen.«
Lynnette sagte: »Ich weiß rein gar nichts.« Eine Sekunde später: »Sie hat gesagt, er wäre schlau, das war’s. Gab an damit. Als würde sie sagen: Er ist schlau, also bin ich schlau. Sie hat gesagt, er würde kommen und sie hier rausholen.« Sie schnaubte verächtlich. »Na klar.«
»Aus dem Dove House?«
»Hier raus. Aus diesem Leben. Der Straße. Und vielleicht hat er’s ja getan. Schauen Sie mal, was mit ihr passiert ist.«
Wir stiegen wieder ins Auto. »Was hältst du davon?«, fragte Milo.
»Erna Murphy mochte schöne Kunst«, sagte ich. »Das wäre ein Punkt, wo sie sich mit jemandem wie Kevin treffen könnte, dem selbst ernannten Kunstrichter. Julie Kippers Bilder können durchaus als schön bezeichnet werden. Erna hätte sich von ihnen angezogen gefühlt. Vielleicht hat er sie auf die Ausstellung aufmerksam gemacht. Und sie als eine Form der Ablenkung benutzt.«
»CoCo Barnes öffnet die Hintertür und vergisst vielleicht, sie wieder zu schließen.« Er rieb
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