Blutnacht
Frau ist Vegetarierin, wir gehen häufig in indische Restaurants.« Er griff sich ein Samosa, hielt es hoch und sagte, wie es hieß. Petra, Milo und Marvin Small nahmen sich etwas zu essen. Stahl nicht.
Die Reste eines Pastrami-Sandwiches hatten sich in meinem Bauch eingenistet, weshalb ich mich auf den gewürzten Tee beschränkte.
Stahl schien sich in einer anderen Welt zu befinden. Er war mit einem großen weißen Umschlag eingetroffen und hatte ihn vor sich hingelegt. Hatte seit Beginn des Meetings weder etwas gesagt noch sich gerührt.
Die anderen aßen, während Small und Schlesinger den Fall Armand Mehrabian zusammenfassten. Fotos des Toten herumgehen ließen, während Kaugeräusche ertönten. Ich blätterte sie schnell durch. Die Bauchwunde war ein grässlicher Schlitz. Gemahnte an Baby Boy Lee und Vassily Levitch.
Dass die Leiche im Freien abgeladen wurde, passte zu Angelique Bernet und China Maranga.
Flexibilität. Kreativität.
Ich teilte ihnen meine Gedanken mit. Sie hörten zu, kommentarlos. Aßen noch etwas. Gingen zwanzig Minuten lang alte Fakten durch. Dann fragte Milo: »Was ist denn mit dem Stammbaum der Familie Murphy, Eric?«
Stahl öffnete den weißen Umschlag und zog den Computerausdruck einer genealogischen Tafel heraus. »Die habe ich aus dem Internet, aber sie scheint zuverlässig zu sein. Erna Murphys Vater, Donald, hatte einen Bruder und eine Schwester. Der Bruder, Edward, heiratete eine Frau namens Colette Branigan. Ihre gemeinsame Tochter nannten sie Mary Margaret. Edward ist tot, Colette lebt in New York, Mary Margaret ist eine Nonne in Albuquerque.«
»Da habt ihr eine heiße Spur«, sagte Small. »Mary, die manische Schwester.«
»Murphys Schwester heißt Alma Trueblood«, sagte Stahl. »Ich bin ihr in dem Pflegeheim begegnet, wo Murphy stirbt. Sie hat zwei Söhne aus einer früheren Ehe, einer ist gestorben. Ihr erster Mann ist tot, aber sie hat sich von ihm scheiden lassen, bevor er starb. Ich hab ein paar Cousins zweiten und dritten Grades gefunden, aber keiner wohnt hier in der Nähe, und keiner heißt Drummond. Ich konnte keine Verbindung zu Kevin entdecken.« »Die ganze Cousin-Geschichte war vermutlich Spinnerei«, sagte Small.
»Ein Cousin, dem Kunst gefällt«, sagte Schlesinger. »Und wenn schon.«
Milo nahm den Ausdruck in die Hand, überflog ihn geistesabwesend, machte keinen glücklichen Eindruck.
Ich warf einen Blick darauf.
»Wer ist das hier?«, fragte ich und zeigte auf einen Namen.
Stahl lehnte sich über den Tisch und las ihn umgekehrt ab. »Alma Truebloods erster Mann. Er war Immobilienmakler in Temple City.«
»Alvard G. Shull«, sagte ich. »Kevins Fachbereichsmentor am Charter College ist ein Mann namens A. Gordon Shull. Die beiden Söhne, die Sie hier stehen haben, sind Bradley – verstorben – und Alvard junior.«
»A. Gordon«, sagte Petra. »Wenn mein erster Name Alvard wäre, würde ich den mittleren benutzen.«
»Verdammt«, sagte Marvin Small. »Mag dieser Professor Kunst?«
»Allerdings«, erwiderte ich.
Absolute Stille im Raum.
Ich sagte: »Shull erzählte mir, er habe in seiner Erziehung ›ein Grundwissen‹ in Kunst, Literatur und Theater vermittelt bekommen. Außerdem hat er rotes Haar.«
»Ist er groß und stark genug?«, fragte Milo.
»Auf jeden Fall«, sagte ich. »Eins dreiundachtzig, fast neunzig Kilo. Naturbursche. Extrovertiert. Und alles andere als um Kevins Schutz besorgt, wie man es von einem Mentor erwarten sollte. Zuerst war er überrascht, dass Kevin in Verdacht stand, irgendetwas getan zu haben. Aber während unserer Unterhaltung erwärmte er sich für das Thema von Kevins Exzentrizität. Ich erinnere mich an eine Bemerkung von ihm: ›Kevin war nicht der Typ Junge, mit dem man gern ein Bier trinken würde.‹ Zu dem Zeitpunkt habe ich mir nicht viel dabei gedacht, aber im Rückblick finde ich es grausam. Eine der letzten Sachen, die er zu mir sagte, war, dass Kevin ein lausiger Schreiber wäre.«
»Oh, Mann«, murmelte Petra.
Milo rieb sich das Gesicht.
»Noch etwas«, sagte ich. »Zu Beginn meines Gesprächs mit Shulls Fachbereichsleiterin über Kevin hat sie völlig abgeblockt. Hat sich auf akademische Freiheit und Vertraulichkeit berufen. Genau was man von einer Fachbereichsleiterin erwarten würde. Dann bekam sie heraus, dass Shull Kevins Mentor gewesen war, und ihre Haltung war plötzlich eine ganz andere. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht, aber möglicherweise hatte sie einen Grund. Wollte, dass
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