Blutnacht
besorgst dir einen Gerichtsbeschluss, um ihm ein paar Haare ausreißen zu dürfen?«
»Davon sind wir noch meilenweit entfernt.«
»Sogar mit den Haaren?«
»Ich habe mit jemandem von der Staatsanwaltschaft telefoniert. Sie wollen mehr haben. Deutlich mehr.«
»Spielt es eine Rolle, dass Shull reiche Eltern hat?«
Er lächelte. »Der Bezirksstaatsanwalt würde schaudern bei dem Gedanken.«
»Das hier könnte hilfreich sein.« Ich zeigte ihm den Hinweis auf den »Kaltes Herz«-Vortrag auf meinem Bildschirm.
»Ach du meine Güte«, sagte er.
»Wirst du jetzt einen Gerichtsbeschluss gegen Shull beantragen können?«
»Wahrscheinlich nicht. Literarische Prahlerei gilt nicht als triftige Begründung.«
»Was ist dann damit: Es gab in Boston sechs Kongresse in der Woche von Angelique Bernets Ermordung. Du hast einen genannt, der mit den Medien zu tun hatte. Das klingt wie etwas, an dem Shull interessiert sein könnte.«
Er zückte seinen Notizblock, blätterte Seiten um. »Medien und Politik, Harvard.«
»Wer hat ihn geleitet?«
»Das ist alles, was ich habe.«
»Soll ich mir das mal näher ansehen?« »Ja«, sagte er. »Mach guten Gebrauch von diesem Dr. phil. Bitte.«
Er versprach, innerhalb einer Stunde wiederzukommen, und ging. Es dauerte fast so lange, aber schließlich hielt ich eine Liste der Teilnehmer an der Massenmedien-Veranstaltung in der Hand.
Vertraulichkeit und all diese Dinge verlangsamten den Prozess, aber einer meiner Kommilitonen während des Graduiertenstudiums lehrte in Harvard, und ihn rief ich an, stellte Verbindungen her, kombinierte schamloses Namedropping mit meiner akademischen Vertrauenswürdigkeit und erfand die Geschichte eines Symposiums zum Thema Medien und Gewalt, das ich auszurichten plante. Wollte die Liste haben, um »die richtigen Leute ansprechen zu können«.
Der endgültige Adressat dieser Lüge war einer der Mitveranstalter des Symposiums, ein schnell redender Professor für Journalismus an der University of Washington namens Lionel South.
»Das war allerdings meins. Harvard gestattete uns, das K- College zu benutzen – das Kennedy-College –, und deshalb haben wir ein Mitglied ihres Lehrkörpers zum Mitveranstalter ernannt. Aber Vera Mancuso – sie ist am Clark – und ich waren die eigentlichen Leiter. Sie sagen, dass Ihres an der medizinischen Fakultät stattfindet? Mit einer psychiatrischen Tendenz?«
»Ziemlich eklektisch«, erwiderte ich. »Im Moment stelle ich Verbindungen zwischen der medizinischen Fakultät, dem Fachbereich Psychologie und der Jurafakultät her.« Manchmal fiel mir die Unwahrheit so leicht. In müßigen Augenblicken dachte ich über dieses Phänomen nach.
»Mediengewalt«, sagte South. »Da stehen die Geldgeber sicher Schlange.«
»Sieht nicht schlecht aus«, sagte ich.
»Noch ein paar Schießereien auf Schulhöfen, und Sie haben wirklich ausgesorgt.«
Ich rang mir ein kollegiales Lachen ab. »Wie sieht es mit Ihrer Teilnehmerliste aus?«
»Ich maile sie Ihnen sofort. Halten Sie uns bitte auf dem Laufenden. Und falls Sie noch jemanden fürs Podium brauchen …«
Ich fand ihn auf der dritten Seite, etwa in der Mitte des Buchstabens »S«:
Shull, A. Gordon, Prof. Komm., Charter College.
Ein bisschen Selbstverherrlichung; Shull war Dozent.
Das passte zu ihm.
Milo kam zurück, und ich zeigte es ihm.
»Oh, ja! Gute Arbeit … Hat Shull einen Vortrag gehalten?«
»Nein, er war nur anwesend. Oder hat sich zur Anwesenheit verpflichtet.«
»Du meinst, er hat geschwänzt?«
»Das wäre nicht schwer gewesen. Sobald er eingetragen war, hätte niemand überprüft, ob er tatsächlich bis zum Ende der Diskussionen dabeiblieb. Shull hatte einen freien Terminkalender.«
»Zeit genug, sich das Ballett anzusehen.«
»Ballett könnte sehr gut sein Ding sein«, sagte ich. »Wo er doch umgeben von Kultur aufgewachsen ist und so.«
»Kaltes Herz … der Hurensohn.« Er sah seine Notizen durch, fand die Liste der Hotels in Boston und setzte sich ans Telefon. Vierzig Minuten später hatte er die Bestätigung. Shull hatte in der Woche von Angelique Bernets Ermordung im Ritz-Carlton übernachtet.
»Nicht weit vom Ballett«, sagte er. »Er nimmt sie in Boston mit, fährt nach Cambridge, wo er sie umbringt und ablädt. Weil es weit weg von seinem Hotel und nahe bei dem Symposium ist … Schlitz ein Mädchen auf und sei rechtzeitig wieder zu einem weiteren blödsinnigen Vortrag zurück.« Seine Augen funkelten.
»Zeit für einen
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