Blutnacht
Hunger.«
Der Speisesaal des Bei Air ist einer jener Räume, die fast voll sein können und trotzdem ruhig sind. Ein Irish Coffee für sie und ein Gin Tonic für mich. Eine kleine Suppe als Amuse-Gueule, dann Salat, ein Lammrücken, Dover-Seezunge, eine Flasche Pinot Grigio. Ein richtiger Kellner, kein hübsches Gesicht, das auf den nächsten großen Durchbruch wartete. Ein Mann, an den ich mich erinnerte – einer der Hilfskellner, der sich seine Sporen verdient hatte, indem er seinen Job gut machte.
Wir waren beim Dessert, als er sich mit schmerzlich verzogenem Gesicht dem Tisch näherte. »Tut mir Leid, Doktor, ein Anruf für Sie.«
»Wer?«
»Ihr Telefonservice. Sie lassen sich nicht abwimmeln.«
Ich ging zum Telefon in der Bar. Die Vermittlung sagte: »Hier ist June. Es tut mir Leid, Sie zu stören, Dr. Delaware, aber dieser Mann ruft immer wieder an und behauptet, es sei dringend. Er klingt ziemlich aufgeregt, daher dachte ich …«
Das piepsende Handy, das ich im Auto ignoriert hatte. »Detective Sturgis?«
»Nein, ein Mr. Tim Planchette. Hab ich mich richtig verhalten?«
»Klar«, sagte ich verwundert. »Stellen Sie ihn durch.«
Tim fragte: »Wo ist sie?«
»Robin?«
»Wer sonst?« Er redete laut, schrie beinahe, und seine wundervolle Stimme hatte ihren seidigen Klang verloren.
»Ich habe keine Ahnung, Tim.«
»Verarschen Sie mich nicht, Alex –«
»Zuletzt habe ich gehört, dass sie mit Ihnen in San Francisco war.«
Pause. »Sie schenken mir besser reinen Wein ein.«
»Ich bin beim Abendessen, Tim. In einem Restaurant. Ich werde jetzt auflegen –«
»Nein!«, schrie er. »Bitte nicht.«
Ich holte tief Luft.
Er sagte: »Tut mir Leid, ich hab angenommen … es war die logische Erklärung.«
»Was?«
»Dass Robin bei Ihnen ist. Sie ist heute Morgen hier aufgebrochen … wir haben uns gestritten. Ich nahm an, sie wäre zu Ihnen zurückgerannt. Es tut mir Leid … wo ist sie?«
»Wenn ich es wüsste, würde ich’s Ihnen sagen, Tim.«
»Wenn Sie mich fragen würden, worum es bei dem Streit ging, könnte ich es Ihnen nicht sagen. Gerade kommen wir noch gut miteinander aus, und im nächsten Moment … Es war mein Fehler, ich war so verdammt beschäftigt, habe ihr nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet, diese blöde Show –«
»Ich bin sicher, Sie werden das wieder hinkriegen, Tim.«
»Sie haben es nicht geschafft.«
Ich schwieg.
»Tut mir Leid«, sagte er. »Ich benehme mich wie ein absolutes Arschloch, es tut mir wirklich Leid. Es ist nur so, dass sie dermaßen wütend auf mich war, und deshalb nahm ich an, sie wäre zurückgegangen, weil … Die Wahrheit ist, sie hängt immer noch an Ihnen, Alex. Das ist etwas, womit ich fertig werden muss. Es ist nicht leicht –«
»Sie haben keinen Grund zur Sorge«, sagte ich. »Ich esse mit einer anderen Frau zu Abend. Eine Frau, mit der ich schon seit einiger Zeit zusammen –«
»Die Psychologin. Hat Robin mir erzählt. Sie redet mehr über Sie, als ihr bewusst ist. Versucht, es beiläufig klingen zu lassen … Ich bin bereit, mich damit abzufinden, wenn es nur eine Frage der Zeit ist … Ich liebe sie wirklich, Alex.« »Sie ist eine großartige Frau.«
»Sie ist, sie ist … gottverdammt, wenn sie nicht bei Ihnen ist, wo zum Teufel ist sie dann? Ihr Flugzeug ist um fünf gelandet, ich hab ihr anderthalb Stunden gegeben, um nach Hause zu kommen, hab angerufen, und niemand ist rangegangen. Hab wieder angerufen, immer wieder –«
»Versuchen Sie es bei ihrer Freundin Debby in San Diego.« »Hab ich. Sie hat auch nichts von Robin gehört.« »Sie braucht wahrscheinlich nur ein bisschen Zeit für sich«, sagte ich und spürte, wie sich ein Knoten in meinem Magen bildete.
»Ich weiß, ich weiß … okay, ich versuch’s weiter. Hören Sie, vielen Dank, Alex. Tut mir Leid, dass ich so ein Trottel war. Ich hätte nicht annehmen dürfen –«
»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen«, erwiderte ich. Leichter gesagt als getan.
Als ich zurück an den Tisch kam, sagte Allison: »Du siehst aus, als hättest du gerade eine Krise gemeistert.« »Ich glaube, das hab ich auch.«
»Möchtest du darüber reden?«
Meine Gedanken überschlugen sich, und Allison auszuschließen kam mir falsch vor. Ich schilderte Tims Anruf. »Nett von dir, ihn zu beruhigen«, sagte sie. »So bin ich nun mal: Vater Teresa.« Sie rückte näher und zeigte mir die Dessertkarte. »Wonach auch immer dir der Sinn steht«, sagte ich. »Zu satt für ein Dessert?«, fragte Allison.
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