Blutnebel
die ihm den Sauerstoff aus der Lunge presste.
Er wandte sich um und stolperte durch tief hängende Äste und Bäume davon. Der Nebel schien sich um seine Füße zu winden und hätte ihn fast zu Fall gebracht. Guter Gott, jetzt stieg er ihm schon in die Nase, in die Kehle und wurde immer dichter, sodass er keine Luft mehr bekam.
Jegliche Vorsicht war vergessen; schwerfällig und blind stolperte er aus dem Wald hinaus, während er mit den Händen vergeblich versuchte, den Griff zu lösen, den der rote Nebel um seinen Hals ausübte.
»Wo soll’s denn heute Nachmittag hingehen, Dev?«
Clem Leesom war aus dem Häuschen des Gas ’n’ Go getreten und wischte nun mit einem feuchten Abzieher planlos über Devs Windschutzscheibe. Seine Tankstelle bot eigentlich keinen Rundumservice, doch er lieferte ihn trotzdem, wenn er zum Schwatzen aufgelegt war, was oft der Fall war.
Dev musterte ihn aus dem offenen Autofenster. »Bloß ein paar Stunden nach Knoxville zu meiner Mutter.«
»Schöner Tag für einen Ausflug. Bleibst du über Nacht?«
»Nein.« Er war später losgekommen als geplant, doch nie im Leben würde er mehr als ein paar Stunden in Celia Anns Gesellschaft verbringen. Nie im Leben würde sie ihn länger bei sich haben wollen.
»Ich bin schon ewig nicht mehr in Knoxville gewesen.« Als er mit der Windschutzscheibe fertig war, trat Clem näher an Devs Fenster heran. »Wenn du an einem Nachmittag hin- und zurückfahren willst, bleibt aber nicht viel Zeit für den Besuch.«
»Zeit genug.« Als die Ziffern auf der Anzeige schließlich stehen blieben, zog Dev drei Zwanziger aus der Brieftasche. »Diese verdammten Ölgesellschaften. Machen uns alle arm.«
»Und ruinieren Leute wie mich gleich mit. Ich hol dein Wechselgeld.«
Während Clem in den Laden schlenderte, kämpfte Dev gegen seine Ungeduld. Er war überhaupt nicht scharf auf die bevorstehende Szene mit seiner Mutter. Auch sie war nicht gerade begeistert von seiner Idee gewesen vorbeizukommen, doch er wollte dieses Gespräch nicht am Telefon führen.
Als er aufgestanden war, um Leanne die Jahrbücher zurückzugeben, hatte Ramsey darauf bestanden, ebenfalls aufzustehen, ihre Wäsche zusammenzupacken und zurück zum Motel zu fahren. Obwohl es ihm lieber gewesen wäre, wenn er bei seiner Rückkehr wieder zu ihr ins Bett hätte schlüpfen können, wusste er, dass er dankbar dafür sein musste, dass sie über Nacht geblieben war – beziehungsweise die wenigen Stunden, die die Nacht ausgemacht hatten. Sie war eine Frau, bei der es sich nicht auszahlte, wenn man sie bedrängte, und durch den Anruf ihres Bruders hatte sie ja einiges mitgemacht.
Ihm schnürte es den Brustkorb zusammen. Er war ein mitfühlender Mensch, doch er konnte sich nicht erinnern, jemals eine derart überwältigende Wut empfunden zu haben. Beim Gedanken daran, dass ihr jemand wehtat, drückte es ihm das Herz wie in einem Schraubstock zusammen. Gerade die Menschen, die sie hätten beschützen sollen, hatten sie schmählich im Stich gelassen. Kein Wunder, dass sie Schutzwälle um sich herum errichtet hatte. Nach allem, was sie mitgemacht hatte, hätten sich die meisten wohl eine regelrechte Festung gebaut.
Clem kam in einem Tempo zurückgeschlendert, das nur einen Hauch über dem einer Schnecke lag. Mit großer Geste überreichte er Dev sein Wechselgeld. »Bitte sehr. Und einen schönen Tag noch.«
Dev nahm einen Fünfer und drückte ihn Clem in die Hand. »Danke, Clem. Dir auch.«
Ein ehrliches Lächeln breitete sich auf der Miene des anderen Mannes aus. »Das ist echt nett von dir, Dev. Vielen Dank. Und grüß deinen Großvater schön von mir, ja?«
»Mach ich.« Er hielt inne, um das Restgeld zu verstauen. Es wunderte ihn nicht, dass die Neuigkeit über Benjamin bereits bei Clem angelangt war. Ein Zwischenfall mit seinem Großvater war nämlich der Grund dafür, dass er so spät dran war. Die Leute von der Einrichtung für betreutes Wohnen hatten ihn angerufen und ihm mitgeteilt, dass sie Benjamin wegen Herzbeschwerden zum Arzt bringen müssten.
Dev hatte selbst Herzbeschwerden, als er endlich bei Doc Theisens Praxis anlangte. Sie ließen erst nach, als der Doc seine Instrumente beiseitelegte und der Einschätzung von Devs Großvater zustimmte, dass er lediglich schlimmes Sodbrennen hatte. Dies wiederum, so hatte Benjamin finster erklärt, kam eher vom unerwarteten Besuch von Bunny Franzen und ihrem verfluchten Hund als von dem frischen Pfirsichkuchen, den sie ihm mitgebracht
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