Blutnebel
Linda Grayson. Sie sind gerade von einem Aufenthalt in Knoxville zurückgekommen, und jetzt haben sie Angst, das Opfer könnte ihre Tochter Joanie Lyn sein.«
Ramsey bezweifelte, dass Rollins speziell sie im Sinn gehabt hatte, als er den Deputy geschickt hatte, damit sich jemand in der mitten in Buffalo Springs gelegenen Leichenhalle von Spring County mit den Eltern traf. Doch sie hatte sich dazu bereit erklärt, und keiner der beiden Polizisten hatte auch nur ansatzweise versucht, ihr die Aufgabe streitig zu machen. Der Umgang mit verzweifelten Eltern war eine traurige Schattenseite ihres Berufs, um die sich niemand riss.
Doch sie wollte das Opfer sehen und mit dem Rechtsmediziner sprechen, der die Obduktion vorgenommen hatte. Bei der Gelegenheit würde sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, und außerdem wollte sie Fotos machen, um sie Alex Bledsoe zu schicken, dem Zeichner von Raiker Forensics. Wenn sie erst einmal Bilder der Toten hatten, war Powell bestimmt leichter dazu zu bewegen, sie wenigstens an sämtliche Polizeibehörden der Umgebung zu verteilen.
Am Motel war ein nagelneuer silberfarbener Ford Escape für sie abgestellt worden, der über sämtlichen Komfort verfügte, unter anderem ein eingebautes Navigationsgerät. Ramsey wunderte sich nicht darüber. Adam Raiker war ein anspruchsvoller Arbeitgeber, doch sie konnte sich nie über Mängel bei der Bereitstellung von Ausrüstungsgegenständen beklagen.
Mit den Angaben des Deputy im Kopf verließ sie den Motelparkplatz und schlug den Weg in den Ort ein. Mit etwas über zweitausend Einwohnern war Buffalo Springs die größte Stadt in Spring County, einer überwiegend ländlich geprägten Gegend, zu der auch Teile der Great Smoky Mountains gehörten. Die Bergkette wurde an manchen Stellen von unerwartet lieblichen Tälern durchbrochen, vor allem im östlichen Tennessee. In einem davon lag Buffalo Springs. Laut der Landkarte, die sie vor ihrem Eintreffen konsultiert hatte, waren die anderen Städte des County nicht einmal halb so groß.
Ramsey war die Gegend fremd, obwohl sie sieben Jahre lang beim TBI gewesen war, ehe sie zu Raiker Forensics gegangen war, doch damals hatte sie in der Dienststelle Memphis gearbeitet.
Zehn Minuten später hielt sie vor dem einstöckigen Zweckbau, den der Deputy ihr genannt hatte. Als sie Rollins’ Wagen die Straße entlang langsam auf sich zukommen sah, wartete sie vor dem Haus.
Auf der Beifahrerseite stieg ein Mann aus und ging zusammen mit Mark auf Ramsey zu. Er war über sechzig, hatte graues, schütteres Haar und Kleider, die irgendwie an seinem Körper schlotterten, als hätte er gerade eine schwere Krankheit überstanden. Sein Gang ähnelte eher einem Schlurfen, und Ramsey wusste, dass sie nicht die Einzige war, der vor der bevorstehenden Szene graute.
Mark machte sie miteinander bekannt. »Ramsey, das ist Jim Grayson. Jim, Ms Clark ist eine Sonderermittlerin, die zusammen mit dem TBI an diesem Fall arbeitet.«
Ramsey staunte ein wenig über sich selbst, als sie dem Mann eine Hand auf die Schulter legte. Normalerweise fasste sie so schnell niemanden an. »Ich hoffe sehr, dass es nicht Ihre Tochter ist, Mr Grayson. Aber ich gebe Ihnen mein Wort, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, um dafür zu sorgen, dass in diesem Fall Gerechtigkeit geschieht.«
Da sah er sie an. Sah sie richtig an. Und sie revidierte ihr ursprüngliches Urteil. Dieser Mann war nicht nur krank. Er war dem Tode nah. Sie sah es an den gelben Rändern um seine Augen. An den Furchen, die der Schmerz in sein Gesicht gezeichnet hatte. Er streckte die Hand aus und bedeckte damit die ihre. Seine Handfläche war trocken und papieren. »Ich weiß nicht, worauf ich noch hoffen soll, Miss. Ich weiß es wirklich nicht.«
Sie folgte ihm, als der Sheriff den Mann durch die Vorhalle des Gebäudes begleitete und einen langen Korridor mit ihm entlangging, bis sie an einer Tür anlangten, vor der ein Mann in OP-Montur stand.
»Hier.« Der Fremde reichte Mr Grayson eine Atemmaske. »Vielleicht möchten Sie die überziehen.« Er bot weder Rollins noch Ramsey eine an, und so wappnete sie sich in Gedanken bereits für das Kommende. Kurz darauf betrat sie nach den anderen die Leichenhalle, wo die bekannten Gerüche ihre Sinne attackierten. Ihr blieb noch ein Moment, um dankbar dafür zu sein, dass sie an diesem Morgen nichts gegessen hatte, ehe sie dem Trio zu einem der Fächer in der Wand folgte.
Der Mann packte einen Griff und ließ eine
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