Blutorangen
sein.«
»Es ist okay, ich kneife die Krankenschwestern.«
»Was machst du Silvester? Willst du spielen gehen?«
»Wenn du in der Stadt bist, dann gehen wir«, sagte er. Dann zog er mich an meinem Ärmel herunter und flüsterte in mein Ohr: »Kannst du mir eine süße Blondine besorgen?«
»Cipriano Rycken«, sagte ich. »Ich kann mich nicht erinnern, daß du früher so geredet hast.«
Ein befriedigtes Lächeln überzog sein Gesicht.
Irgendwann kamen wir zu meiner Geschichte. Was mich nach Las Vegas brachte. Die komische Postkarte mit dem winkenden Kaktus, meine vermißte Freundin, der momentane Begleiter meiner Freundin. Als ich sagte, daß der Typ eine Gefahr für die Gesellschaft ist, schaute Cipriano woanders hin und steckte seine Zunge in seine Wange. »Ich glaube, ich sage dir besser, was ich in der Zwischenzeit gemacht habe, Cip.«
Wir waren zu den Fenstern gegangen, und jetzt saß ich ihm gegenüber. Es war gleichzeitig komisch und normal für uns, hier zu sitzen. So wäre es, einen Großvater gehabt zu haben. Wir säßen am Fenster und er würde mich fragen, wie es in der Schule ginge. Er würde mir erzählen, wie es früher gewesen war. Aber dies hier war Cipriano, der eine Frau hatte und eine Tochter, die ich nicht kannte, und früher einen Tanzclub.
»Du hast deine Haare kurz geschnitten«, sagte er.
»Ja, ja, das habe ich. Es ist praktischer so.«
Er sah mich ein wenig länger an und sagte dann: »Hast du Kinder?«
»Nein.«
»Du bist doch nicht homosexuell?«
»Nein, Cipriano.«
»Ich frage nur wegen dem, was man so alles hört im Moment.«
Ich dachte ein paar Sekunden nach, bevor ich es sagte: »Hast du schon mal von DES-Babies gehört, Cip?«
»Ich glaube nicht.«
»Diethylstilbestrol. Meine Mutter hat es genommen, damit sie mich austragen konnte und keine Frühgeburt hatte. Bei manchen Menschen verursacht das Krebs. Bei mir war es etwas anderes. Deshalb wurden die Rohre rausgeschmissen.«
Er dachte eine Weile darüber nach und sagte dann: »Bist du noch im Showgeschäft?« Er wollte, daß ich mich schön fühle.
»Mhh, laß mich mal darüber nachdenken.«
Da war es wieder: das schiefe Lachen, daß mich denken ließ, er wisse mehr als er sagt, oder als ich verstehen konnte. Und dann lachte er richtig und ich bemerkte zum ersten Mal, daß seine Zähne zu weiß waren und fragte mich, ob sie immer so waren. »Laß mich raten«, sagte er. »Du bist religiös geworden.«
»Ja, auf gewisse Weise«, sagte ich.
»Wer’s glaubt wird selig.« Sein Kopf bewegte sich wie der eines weisen Gockels.
»Man kann sagen, daß ich eine Arbeit habe, die mich merken läßt, daß ich von Zeit zu Zeit etwas Gutes tue. Die Stadt bezahlt mich.«
»Wofür?«
»Dafür, daß ich Dinge herausfinde. Puzzlestücke zusammenfüge. Eigentlich arbeite ich bei der Gerichtsmedizin.«
Ich sah, daß Cip nicht wußte, wie er darauf antworten sollte oder dachte, ich mache Spaß. Zuerst sagte ich, was ich alles gemacht hatte, seit ich ihn verließ, vom Einkäufer zum Polizist. Während wir sprachen, liefen Krankenschwestern hin und her durch den großen Raum, ihre Stimmen waren laut und ihr Lachen herzlich genug, um zu bestätigen, daß das Leben weitergeht. Sie hielten an und sprachen mit einem Patienten oder nahmen ein Spielzeug vom Boden hoch, um es mit netten Worten wieder auf den Schoß zu legen, von dem es heruntergefallen war. Das hatte ich hier gar nicht erwartet.
Mein früherer Boss war ganz ruhig, als ich erklärte, was man bei der Spurensicherung macht. »Viel davon ist Papierkram, in Mikroskope gucken, Bluttests machen, so etwas«, sagte ich. Ich weiß nicht, warum ich nicht wollte, daß Cipriano weiß, wie hart die Arbeit manchmal sein kann. Ich erzählte ihm auch nicht, daß ich nach sechs Wochen Arbeit in Oakland zu einem Polizeitherapeuten gehen mußte, damit ich aufhörte, die letzten Momente eines Opfers zu rekonstruieren: Wenn er eine Minute früher gegangen wäre ... Wenn sie nur (dies und das) statt (dem und den) gesagt hätte ... Wenn sie nur eine andere Flüssigkeit als die für Feuerzeuge benutzt hätten.
Cipriano sagte: »Siehst du mal Tote?«
»Manchmal.«
Er dachte darüber nach und ging dann zur Polizeiarbeit zurück. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß du ein Bulle warst. «
»Warum nicht?«
Er steckte seine Zunge wieder in die Wange, bevor er sprach. Und als seine Wange wieder zusammenfiel, wurde sein Mund spitz und sein Hals lang. »Eine Polizistin«, sagte er.
Ich sagte: »Es
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