Blutrot wie die Wahrheit
war.
Dennoch wollte sie nicht länger als unbedingt nötig ziellos durch die Nacht spazieren, und so fragte sie Will: âWenn du eine Dame zu einem Abendspaziergang in den Common ausführen würdest, wo würdest du mit ihr hingehen?â
âWahrscheinlich zu dem neuen Brunnen, ganz hinten bei der Mauer, die an die Park Street grenztâ, erwiderte er. âDer, den Gardner Brewer gestiftet hat. Plätscherndes Wasser hat ja so etwas ⦠Es schafft irgendwie eine Atmosphäre ruhiger Vertrautheit.â
Der leise Klang sanft plätschernden Wassers wurde dann auch stetig lauter, doch keineswegs aufdringlich, je näher sie dem Brewer-Brunnen kamen â einer monumentalen, dreistufigen Bronzereplik eines für die Pariser Weltausstellung von 1855 geschaffenen Brunnens. Riesig ragte er vor ihnen auf; das klar und stetig herabströmende Wasser schimmerte bernsteingolden im Schein der Laternen, die entlang der Park Street standen.
Zunächst dachte Nell, dass doch niemand da sei, aber dann entdeckte sie durch den Wasserschleier hindurch eine dunkle Gestalt auf der anderen Seite des Brunnens â nein, es waren sogar zwei Gestalten, stellte sie fest, als sie mit Will das steinerne Bassin umrundete. Zwei dunkel gekleidete Personen saÃen nebeneinander auf dem Beckenrand, den Rücken zum Wasser, doch selbst im Dunkeln erkannte sie den Umriss des flachen Chapeau Chinois wieder, den die Dame trug: Emily. Nell holte tief Luft.
Will tätschelte ihr beruhigend den Arm, als sie auf das Paar am Brunnen zugingen. âEinen schönen guten Abendâ, grüÃte er launig.
Dr. Foster, der seltsam zerstreut wirkte, stand auf und zog seinen Hut vor Nell. âMiss Sweeney ⦠Hewitt.â Will verneigte sich vor Emily, die gesenkten Hauptes dasaà und ein Taschentuch in den behandschuhten Händen wrang.
âIhre Tante sagte uns, dass wir Sie hier finden könnten, Miss Prattâ, begann Nell. âIch hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn wir ⦠Geht es Ihnen nicht gut?â
Emily betupfte sich die Augen mit dem Taschentuch und sah auf. Ihre Augen glänzten, ihre Nase war gerötet. âMir geht es gut.â Sie lächelte wenig überzeugend. âWie schön, Sie zu sehen, Miss Sweeney. Wollen Sie sich nicht zu mir setzen?â, fragte sie und klopfte auf den Platz, von dem Foster sich soeben erhoben hatte.
Vorsichtig setzte Nell sich, während sie sorgsam ihre Röcke vor der sprühenden Gischt in Sicherheit brachte.
âEin herrlicher Abend für einen Spaziergangâ, meinte Foster, doch auch sein Lächeln war recht bemüht.
âSo ist esâ, erwiderte Will, âund ich wünschte, wir wären allein aus diesem Grund hier. Doch das ist leider nicht der Fall.â
Nell wandte sich Emily zu und meinte: âMiss Pratt, erinnern Sie sich noch daran, wie ich Ihnen von Fiona Gannons Onkel Brady erzählt hatte, und davon, dass er überzeugt ist, dass seine Nichte Virginia Kimball nicht umgebracht habe?â
Emily nickte, ihre Miene war auf einmal ganz wachsam.
âWie sich nun herausgestellt hat, wurde Mrs. Kimball mit einem Geschoss getötet, das aus einem groÃkalibrigen Revolver abgefeuert wurde â einer Waffe wie der Lefaucheux Ihres Vaters.â
Emilys Augen weiteten sich unmerklich. Sie schaute zu Dr. Foster hinüber.
âVielleicht wäre es Ihnen ja lieber, dies nur mit Miss Sweeney und mir zu besprechenâ, bot Will ihr an.
âNein. Nein, das ist nicht nötigâ, entgegnete Emily. âIch ⦠ich habe Isaac ⦠Dr. Foster soeben alles erzählt. Es gibt nichts mehr zu sagen, das er nicht bereits wüsste.â Ihr Kinn bebte; Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie vergrub ihr Gesicht in den Händen.
Foster setzte sich neben sie und legte ihr seine Hand auf den Rücken. âMuss das denn wirklich sein?â, fragte er. âSie sehen doch selbst, wie durcheinander sie ist.â
âIch fürchteâ, begann Will, âdass sie sich entweder mit uns oder gleich mit der Polizei wird unterhalten müssen. Miss Pratt, ich weiÃ, wie sehr Sie das alles mitgenommen hat, aber wenn Sie uns erzählen, was genau geschehen ist â und warum â, dann ⦠könnten wir Ihnen vielleicht rechtlichen Beistand besorgen und ⦠jegliche Hilfe, derer Sie bedürfen.â
âRâ¦rechtlichen Beistand?â, stieà sie heiser
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