Blutrot wie die Wahrheit
der Hewitts, der in England aufgewachsen und zur Universität gegangen war, bei den Besuchen in der Neuen Welt seiner Schwäche für Schauspielerinnen ausgiebig nachgegeben hatte.
Und so lachte Peter nur stillvergnügt, während er sich ein paar dicke Schinkenscheiben in mundgerechte Stücke schnitt. âSah für mich aber irgendwie nach mehr als einer âkleinen Romanzeâ aus â zumindest von seiner Seite. Den hatte es ganz schön erwischt, wenn Sie mich fragen. Auf dem Sitz neben sich hatte er einen riesigen Strauà weiÃer Rosen liegen, so einen groÃen Strauà hatte ich noch nie gesehen, einen ganzen Berg von Rosen! Und wie er sie angesehen hat, während sie da unten auf der Bühne stand ⦠Hoffnungsloser Fall.â
âSie haben damals schon gewusst, wer er ist?â, fragte Nell. âSie sind doch ein Kind gewesen und haben noch gar nicht für die Hewitts gearbeitet. Zudem hat Dr. Hewitt vor dem Krieg nur wenige Wochen im Jahr in Boston verbracht. Manche der Bekannten seiner Eltern wussten ja nicht einmal, dass es noch einen weiteren Sohn gab.â Dies mochte zwar mehr als seltsam erscheinen, zumal wenn man die herausragende Rolle bedachte, die die Familie in der Bostoner Gesellschaft spielte, aber Will hatte für diese Welt immer nur Verachtung übrig gehabt und sie während seiner Ferien gemieden. AuÃerdem hatte er sich mit dem Patriarchen der Familie, dem ehrenwerten August Hewitt überworfen, war ihm eigentlich seit frühester Kindheit ein Dorn im Auge gewesen, weshalb er auch schon in jungen Jahren nach England verschifft worden war. Dort hatten Verwandte den kleinen Missetäter dann untereinander weitergereicht und von einem Internat auf das nächste bis hin nach Oxford verfrachtet. Erst als er sein Leben selbst in die Hand zu nehmen begann, sich dem Willen seines Vaters widersetzte und nach Edinburgh ging, um Medizin zu studieren, war ihm, als hätte auch er einen Platz in der Welt, eine Aufgabe, die seinem Leben Sinn gab. Doch dann kam der Krieg, der alles veränderte.
âOh, damals wusste ich natürlich nicht, wer er warâ, erwiderte Peter, âaber er ist mir im Gedächtnis geblieben, wie er da so saà â mit seinem glänzend schwarzen Haar und so elegant gekleidet und ⦠ich weià auch nicht. Er hatte so was an sich, eine Ausstrahlung, als ob er schon viel älter wäre, ein richtiger Gentleman, ein Mann von Welt, obwohl er ja damals kaum älter gewesen sein kann als â¦â, Peter zuckte mit den Achseln und schaufelte sich Hühnerklein auf seine Gabel, â⦠Mitte zwanzig vielleicht?â
âEr müsste damals einundzwanzig gewesen sein.â
âIch weià noch, dass ich dachte, er sieht aus wie ein junger Prinz â von der Zigarette mal abgesehen. Eigentlich hab ich immer nur Arbeiter und Taugenichtse rauchen sehen â Leute wie mein Pa und seine Kumpels eben. Also irgendwie passte das gar nicht zusammen, sein Aussehen und die Zigarette â oh, und nicht zu vergessen sein englischer Akzent! Als ich dann ein paar Jahre später anfing, hier zu arbeiten, habe ich ihn gleich wiedererkannt. Trotz der Uniform, die er da anhatte.â
Nach Ausbruch des Bürgerkrieges war Will in die Staaten zurückgekehrt, um sich der Unionsarmee als Arzt zu verpflichten. Von den anderen drei Hewitt-Söhnen meldete sich nur Robbie, der Zweitälteste, freiwillig. Harry, drittältester Sohn und stets sich selbst am nächsten, fand gute Gründe, um unbeschadet zu Hause bleiben zu können, und Martin, der Jüngste, war einfach noch zu jung gewesen.
Viola Hewitt hatte Nell vor einiger Zeit einmal eine Fotografie gezeigt, die ihre beiden ältesten Söhne kurz nach deren Aufnahme in das 40. Regiment der berittenen Infanterie von Massachusetts zeigte. In ihren blauen Uniformröcken mit den blank polierten Messingknöpfen und den verwegen aussehenden Schlapphüten hatten Will und Robbie eine recht schnittige Figur abgegeben â insbesondere der hochgewachsene und kantige Will, der über rotbrauner Schärpe noch einen Offizierssäbel trug, denn sein Dienst als Feldarzt hatte ihm den Rang eines Majors eingebracht. Robbie, der sich als Sergeant gemeldet hatte, war im Februar 1864 gerade zum Captain aufgestiegen, als beide Brüder in der Schlacht von Olustee den Konföderierten in die Hände fielen und nach Andersonville gebracht wurden. Das
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