Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blutrot

Titel: Blutrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
Vom Netzwerk:
Aber auch das war nicht die Todesursache, sondern der Umstand, dass der Gewehrlauf die Oberschenkelarterie zerfetzt hatte. Durch den abgebrochenen Lauf war das Blut abgeflossen wie Regenwasser in eine Abflussrinne. Am Morgen war er schon seit Stunden tot.
    Im ersten Jahr im Haus hatten sie Töpfe und Eimer auf den Boden gestellt, um den Regen aufzufangen. Dann hatte er das Dach repariert.
    Das Blut unter dem nordkoreanischen Scharfschützen war eine klebrige schwarze Lache gewesen, die durch die Hitze zur Kruste geronnen war. Über ihm schwirrten aufgeblähte Fliegen.
    Klebrig. Genau wie sein moosartiger Hinterkopf.
    Vorsichtig strich er mit der Hand darüber.
    Allies und Billys Kopf. Beide waren ganz leicht herausgeflutscht. Bei Tim hingegen hatte es nach einer Steißgeburt ausgesehen. Doktor Jaffe musste den Jungen mit der Hand in Marys Bauch umdrehen.
    Sie hätten ihn fast verloren.

    Er war bei allen drei Entbindungen dabei gewesen. Bei Tims Geburt war er fast ohnmächtig geworden.
    Die Sommerhitze in Korea. Sie raubte einem fast die Besinnung. Man bekam keine Luft.
    Vorhin im Wald hatte er wirklich die Besinnung verloren. Sie hatten ihn einfach liegen gelassen.
    Seine Atmung erzeugte nur noch ein schwaches, leises Rasseln. Es war das einzige Geräusch abgesehen von seinen schlurfenden Schritten auf dem Asphalt und dem Rauschen des Windes in den Bäumen.
    Er bemerkte Autoscheinwerfer, die hinter ihm auftauchten. Aus der Ferne sah er ihr trübes Licht und beobachtete, wie es nach und nach heller wurde. Aber er ging weiter, blieb nicht stehen. Als die Lichter schließlich über ihn hinwegspülten und den Hügel hinaufglitten wie die Schwingen eines großen weißen Vogels, bedeutete es nicht, dass eine Möglichkeit zu seiner Rettung vertan war, sondern dass er im Scheinwerferlicht den Waldrand erblickt hatte. Dort, wo das Weideland begann.
    Er war näher herangekommen.
    Ihm fiel auf, dass er schief ging.
    Er driftete immer wieder nach links und musste deshalb alle sechs Schritte seine Laufrichtung nach rechts korrigieren. Er dachte an die vier Stufen zur Veranda im Altenheim seines Vaters, die für den alten Herrn so schwer zu erklimmen waren. Inzwischen
musste man ihm hinauf- und hinunterhelfen. Er fragte sich, ob sein Vater glücklich war oder ob er, Ludlow, ein schlechtes Gewissen haben musste, weil er ihn dorthin verfrachtet hatte. Zumindest war es der ausdrückliche Wunsch seines Vaters gewesen. Ich werde dir und Mary nicht zur Last fallen, hatte der Alte gesagt. Ist schon schlimm genug, dass ich mir selbst zur Last falle.
    An dem Tag, als sie seinen Vater ins Heim brachten, hatte Mary geweint. Red stand hinten auf der Ladefläche. Aber sie hatte den Hund vorn in der Fahrerkabine haben wollen. So lag während der Heimfahrt ihr Arm auf Reds Rücken, während der den Kopf aus dem Fenster hielt und sich den Fahrtwind ins Gesicht pusten ließ.
    Jetzt ging Ludlow an einem Holzzaun entlang. Die andere Straßenseite säumten weiße Birken. Auf seiner Seite, gleich hinter dem Zaun, lag eine sanft ansteigende Weidefläche. Im Mondschein sah alles grau und pittoresk aus, wie ein idyllisches Schwarz-Weiß-Foto aus einer anderen, längst vergangenen Zeit.
    Er ging weiter. Der Schmerz kam und verebbte. Immer wieder. Es war ihm egal. Er erinnerte ihn wenigstens daran, dass er am Leben war.
    Da waren Gestalten auf der Weide.
    Grasende Pferde. Sechs Stück.
    Er fragte sich, warum man sie über Nacht nicht in den Stall gebracht hatte. Ob sich die Pferde dieselbe Frage stellten? Er blieb stehen, lehnte sich an den
Zaun und beschloss, eine Pause einzulegen. Er beobachtete, wie die Pferde ab und zu ein Stück weitergingen und den Kopf senkten, um das Gras zu ihren Hufen abzufressen. Er hörte, wie sie es mit den Zähnen ausrissen und zermalmten, nachdem es sich nur widerwillig aus der Erde gelöst hatte. Ihre Farbe, ob schwarz oder braun, konnte er im Mondschein nicht bestimmen, doch eines der Pferde war gescheckt. Während sie fraßen, schnaubten sie zufrieden.
    Als er ein Junge von sechs oder sieben Jahren war, gehörte seinem Onkel John Fry eine Milchfarm. Es gab auch zwei Pferde. Ludlow war noch nie geritten. Fry befand, dass es höchste Zeit wäre, dies zu ändern. Er sattelte die große braune Stute und hob ihn in den Sattel. Ludlow beschwerte sich, weil er die Steigbügel nicht erreichte, aber Fry meinte: Das spielt keine Rolle, Junge, ihr macht doch bloß einen kleinen Spaziergang.
    Fry war ein großer Mann, der gern mit

Weitere Kostenlose Bücher