Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blutrot

Titel: Blutrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
Vom Netzwerk:
sollten langsam hier verschwinden. Jedenfalls mit dem Lincoln oben an der Straße. Ich schätze, der Revolver ist ihm aus der Hand gefallen, als die Tür aufflog. Wir können also nur das Beste hoffen. Es gefällt mir zwar überhaupt nicht, aber hier noch stundenlang herumzusuchen kommt auch nicht in Frage.«
    Er stieß erneut einen Seufzer aus und stand dann einfach reglos da, so als würde er über etwas nachdenken.
    »Pete, Harold, sammelt ein paar Äste auf und verwischt das Laub. Keiner von uns war jemals hier, verstanden? Danny? Komm her. Tu, was wir dir sagen, Junge.«

    Aus dem Augenwinkel sah Ludlow, wie etwas Gro ßes, Dunkles von einer Hand in die nächste wanderte.
    »Dad …«
    Harolds Stimme klang flehend.
    Aber es war nicht nur das. In diesem Moment lag noch etwas anderes in Harolds Stimme, das Ludlow warnte. Eine Art Müdigkeit und mürrische Resignation. Er riss die Augen auf und wälzte sich beiseite. Dabei sah er, dass Danny über ihm stand, sah den dicken Ast auf sich zusausen, dorthin, wo das halbe Ohr hing. In diesem Augenblick - viel zu spät - begriff er, was sie vorhatten: Sie wollten ihm eine noch schlimmere Verletzung zufügen, um die Schusswunde zu kaschieren. Plötzlich fuhr ihm ein heftiger Ruck durch den Körper. Er dachte noch: Oh, Gott, so ist das also, so muss Red sich gefühlt haben, als ihm die Ladung Schrot den Kopf weggerissen hat. Dann stürzte er in eine Dunkelheit, die so tief war, dass sie ihn beinahe blendete.

28
    Es war gegen Abend, als er zum zweiten Mal das Bewusstsein zurückerlangte.
    Als er erwachte, konnte er sich an nichts mehr erinnern.
    Er hatte keine Ahnung, wer oder was er war. Er hätte ein Waldgeist sein können, neugeboren aus Erde und Tannennadeln am ersten Schöpfungstag. Ohne körperliche Substanz. Er hätte alles Mögliche sein können.
    Er versuchte sich aufzusetzen, aber es gelang ihm nicht. Über ihm sausten die Bäume im Kreis herum, als läge er im Zentrum eines riesigen Kettenkarussels, das ein törichter Schausteller absurderweise mitten in den Wald gestellt hatte.
    Er bewegte sich wie ein Kleinkind, das nicht wusste, wie es seine Gliedmaßen gebrauchen sollte. Erst den einen Fuß, dann den anderen, erst die eine Hand, dann die andere. Dann Arme und Beine. Er blinzelte, um den Taumel zu verscheuchen. Dann noch einmal.

    Als er glaubte, sich aufsetzen zu können, versuchte er es aufs Neue. Diesmal klappte es.
    Ein intensiver stechender Schmerz durchfuhr ihn und verschwand genauso plötzlich wieder. Ein Phantomschmerz irgendwo in seinem Phantominneren. Er tastete seinen Hinterkopf ab und spürte etwas seltsam Weiches, Feuchtes, wie schwammiges Moos. Er betrachtete seine Hand. Sie war klebrig, rot und braun beschmiert und voller Tannennadeln.
    Er fragte sich, was geschehen war.
    Einige Meter entfernt sah er einen Pick-up im Halbdunkel auf dem Dach liegen, um einen Baumstamm gebogen wie ein Finger um einen Bleistift.
    Das Fahrzeug kam ihm irgendwie bekannt vor.
    Er versuchte aufzustehen. Bis auf die Knie schaffte er es, aber weiter ging es nicht. Deshalb kroch er zum nächsten Baum, schlang die Arme um den Stamm und zog sich langsam hoch. Bis das Zittern in seinen Knien nachließ, begnügte er sich damit, den Baum zu umarmen wie eine Geliebte, die Wange sanft an die duftende Rinde geschmiegt. Nach einer Weile ließ er den Baumstamm los und setzte sich vorsichtig in Bewegung.
    Sein Ziel war der Pick-up. Der kam ihm wirklich bekannt vor.
    Er blieb dicht bei den Bäumen. Einmal stolperte er, aber er bekam gerade noch einen Ast zu fassen und hielt sich auf den Beinen. Erneut durchfuhr
ihn der stechende Schmerz und verschwand gleich darauf wieder. Der Wald verschwamm vor seinen Augen.
    Als er den Pick-up erreicht hatte, bückte er sich hinab und schaute auf der Fahrerseite in den Innenraum des Fahrzeugs. Alles Mögliche lag über die Wagendecke verstreut. Ein zerbrochenes Papiermesser. Eine halb zerfetzte Landkarte. Eine leere Limonadendose. Ein abgebrochener Scheibenwischer. Kaugummipapier. Der Inhalt des Aschenbechers, der alles mit feinem grauem Pulver bedeckte, in das sich spitze gezackte Glassplitter mischten. Er wusste nicht, wonach er suchte oder was ihm diese Sachen sagen sollten, deshalb wandte er sich um.
    Es wurde allmählich dunkel. Er wusste, dass er nicht im Dunkeln hier draußen sein sollte.
    Im Dunkeln würde er sich verlaufen.
    Er fand, dass er versuchen sollte, den Hang zu erklimmen, auch wenn er sich nicht ganz sicher war, warum. Es war

Weitere Kostenlose Bücher