Blutrote Kuesse
Boss ist.«
Ich warf ihm einen Blick zu, wohl wissend, das sein Gesicht das Letzte sein würde, das ich je zu sehen bekäme. Kurz durchzuckte mich Bitterkeit, bevor ich sie verdrängte. Keine Klagen. Vielleicht, vielleicht war die Welt durch mein Tun ein besserer Ort geworden. Mehr konnte ich mir nicht erhoffen, und so würde ich meinem Henker vor meinem Tod die Wahrheit sagen.
»Ich habe keinen Boss.« Jedes Wort war Gift. Höflichkeit überflüssig. »Du willst wissen, warum ich nach Mensch und nach Vampir rieche? Weil ich beides bin. Vor Jahren ging meine Mutter mit einem ihrer Meinung nach netten Kerl aus. Er war allerdings ein Vampir und vergewaltigte sie. Fünf Monate später wurde ich geboren, zu früh, aber voll entwickelt, ausgestattet mit einer ganzen Menge abgefahrener Fähigkeiten. Als sie mir endlich erzählte, wer mein Vater war, versprach ich ihr, als Wiedergutmachung jeden Vampir umzubringen, der mir über den Weg lief. Damit niemand sonst ein Schicksal wie sie durchleiden muss. Sie traut sich seither nicht mehr aus dem Haus! Ich jage für sie, und wenn ich jetzt sterben muss, bereue ich nur, dass ich nicht mehr von euch mit in den Tod habe reißen können!«
Ich hatte die Stimme erhoben, bis ich am Ende schrie, ihm die Worte ins Gesicht schleuderte. Ich schloss die Augen und machte mich auf den Todesstoß gefasst.
Nichts. Kein Laut, kein Schlag, kein Schmerz. Einen Augenblick später riskierte ich einen verstohlenen Blick und sah, class er sich nicht gerührt hatte. Er tippte sich mit dem Finger ans Kinn und betrachtete mich mit einem Gesichtsausdruck, den man nur als nachdenklich bezeichnen konnte.
»Also?« Angst und Resignation verschlugen mir fast die Sprache.
»Bring mich endlich um, du erbärmlicher Blutegel!«
Ich erntete einen amüsierten Blick. »Arschgesicht. Blutegel. Küsst du deine Mutter mit diesem Mund?«
»Sprich nicht über meine Mutter, Mörder! Deinesgleichen hat kein Recht, über sie zu sprechen!«
Ein angedeutetes Lächeln spielte um seine Lippen. »Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, oder? Ich habe dich jemanden ermorden sehen. Und sagst du die Wahrheit, gehören wir einer Art an.«
Ich schüttelte den Kopf. »Mit deinesgleichen habe ich nichts gemeinsam! Ihr seid alle Ungeheuer, habt es auf Unschuldige abgesehen und kümmert euch nicht darum, dass ihr deren Leben ruiniert. Die Vampire, die ich umgebracht habe, haben mich angegriffen... Pech für sie, dass ich vorbereitet war. Vielleicht fließt etwas von diesem verfluchten Blut in meinen Adern, aber ich habe es zumindest dafür eingesetzt...«
»Ach, jetzt halt endlich die Luft an«, unterbrach er mich in dem gereizten Tonfall, in dem man ein Kind zurechtweisen würde. »Quatschst du ständig ohne Punkt und Komma? Kein Wunder, dass deine Verehrer dir immer gleich an die Gurgel wollten. Kann's ihnen kaum verdenken.«
Sprachlos starrte ich ihn an. Die Redensart jemandem Salz in die Wunden streuen< verstand ich mit einem Mal allzu gut. Erst hatte er mich verprügelt, und jetzt wollte er sich vor meiner Ermordung auch noch über mich lustig machen.
»Tut mir leid, dass ich dich in deinen Beileidsbekundungen für deine toten Artgenossen unterbrechen muss, aber bringst du mich jetzt bald mal um, oder was?« Tapfere Worte, dachte ich. Zumindest besser als Rumgejammer.
Bevor ich auch nur blinzeln konnte, spürte ich seinen Mund auf meiner pochenden Halsschlagader. Alles in mir erstarrte, als ich das unverkennbare leichte Kratzen von Zähnen spürte. Bitte lass mich nicht betteln. Bitte lass mich nicht betteln.
Abrupt ließ er wieder von mir ab, während ich zitternd vor Erleichterung und Angst dastand. Eine Augenbraue hochgezogen sah er mich an.
»Hast es wohl eilig zu sterben, was? Aber erst musst du mir noch ein paar Fragen beantworten.«
»Warum sollte ich das tun?«
Sein Mund verzog sich leicht, bevor er antwortete.
»Glaub mir, es wäre wirklich besser für dich.«
Ich räusperte mich und versuchte, meinen Herzschlag zu verlangsamen. Ich musste ihm nicht auch noch Appetit machen.
»Was willst du wissen? Vielleicht sage ich es dir.«
Sein leichtes Grinsen wurde breiter. Schön, dass wenigstens einer von uns seinen Spaß hatte.
»Tapferes kleines Kätzchen, das muss man dir lassen. Also gut. Angenommen, ich glaube dir, dass du die Tochter eines Menschen und eines Vampirs bist. Davon hat man zwar noch selten gehört, aber darauf kommen wir später zurück. Also sagen wir, ich glaube dir,
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