Blutrotes Wasser
auf, sah ein faltiges, uraltes Gesicht vor sich, eine Frau mit Kopftuch, die ihm gerade eine saftige Ohrfeige verpasst hatte.
»Oma?«, krächzte er.
Die Frau kicherte leise. »Wenn du gerne möchtest, Jungchen. Dann kaufst du mir aber jeden Tag meine Blumen ab.«
Frenyczek schüttelte sich und hustete. Die Druckwelle hatte ihn erwischt. Er blinzelte durch den Staub und war mehr als erleichtert, als er neben sich das Parlament stehen sah. Dann riss er sich zusammen, betrachtete die Trümmer um sich herum, die schreienden und flüchtenden Menschen.
»Komm, Großmutter«, murmelte er und rappelte sich auf. »Bringen wir ein bisschen Ordnung in dieses Durcheinander.«
19.31 Uhr, Margaretenbrücke
Wo war er hin? Lázlo hatte nur wenige Minuten bei Lena verbracht. Er hetzte zur Donau und musterte das Wasser. Nichts. Dann blickte er zur Brücke hinauf und sah ein verräterisches Glitzern. Ohne diese verfluchte goldene Krone hätte er Holló nie gesehen. Der Rabe schlüpfte gerade durch eine Lücke im Zaun, die auf die Baustelle führte. Lázlo rannte zur Brücke hinauf, verlor Holló aus den Augen, als er die Treppenstufen erstürmte, und pirschte sich vorsichtig durch dieselbe Lücke. Seine Turnschuhe quietschten. Seine Gedanken rasten. Hoffentlich ging es Lena gut. Eine siebte Bombe. Wieso hatte der Rabe den Plan geändert? Hoffentlich machte sich seine Mutter keine Sorgen. Wo steckte dieser Hund?
Die Sonne stand knapp über dem Horizont, schon eingehüllt in ihren rotorangefarbenen Schlafanzug. Menschen drängelten und gafften auf dem schmalen Streifen, der für die Fußgänger gedacht war. Der Rest der Brücke: eine Wüste aus Stahl und Asphalt. Baumaschinen, ganze Bagger, auch sein guter alter Freund, der Betonmischer. Aber alle schliefen. Erstarrt und lautlos warteten die Maschinen auf ihren Einsatz.
Wo steckte der Rabe?
Vorsichtig setzte Lázlo seine Schritte. Huschte in die Deckung eines Dixi-Klosetts. Spähte um die Ecke, sprintete zu einem Wohncontainer und linste durch das Fenster. Dunkelheit. Von unten, tief unten hörte er die Donau plätschern. Weiter, Lázlo, weiter! Er huschte zu einem Raupenbagger, der wie ein Dinosaurier aus Metall auf der Brücke stand. Schaufelzähne so groß wie Lázlos Hand. Ein Lastschiff näherte sich der Brücke, gefüllt mit Sand. Wo war …
Im letzten Moment sah er den Schatten, registrierte die Bewegung in der Luft. Lázlo warf sich zur Seite und stöhnte auf, als er gegen einen Stapel Betonsteine prallte. Aber die Eisenstange verfehlte ihn und sauste mit einem Zischen durch die Luft.
»Du«, zischte Holló. Immer noch trug er die Krone, aber seine silberne Maske war verschwunden. Es war tatsächlich dieser Musiker. Rutschek, der Geiger.
»Du!«, wiederholte er und schlug zu. Lázlo rollte zur Seite; die Stange erwischte mit einem schmatzenden Laut die Steinblöcke. Betonsplitter spritzten.
»Du hast alles zunichtegemacht, Lázlo. Ich habe dir vertraut. Ich wollte dir die Zukunft Ungarns schenken.«
»Und neue Lügen«, rief ihm Lázlo entgegen und rappelte sich auf. Rutschek war ein alter Knacker. Das musste doch zu schaffen sein.
Irgendwie.
»Lügen, ja.« Imre hielt inne. »Sie taten mir weh, all die Lügen. Ja. Aber es musste sein. Genau wie das hier.«
Lázlo blinzelte überrascht: Der Kerl war erstaunlich schnell. Diesmal tauchte Lázlo unter der Eisenstange durch und warf sich nach vorne. Er rammte Imre, sie stürzten. Eng umschlungen rollten sie über die Baustelle. Unter ihnen tuckerte der Dampfer und ließ sein Horn ertönen. Sie prallten an einen schweigenden Presslufthammer und Imre Rutschek stöhnte auf. Endlich ließ er die verfluchte Eisenstange fallen.
Lázlo schlug zu. Zuckte gleich danach zurück, weil seine Faust brannte, aber nicht lange, o nein, noch einmal schlug er und noch einmal. Dann hielt er inne. Blut tropfte von der Lippe des alten Geigers. »Glaub mir, Lázlo, es tut mir leid. Die Wahrheit ist, ich kannte deinen Vater nicht. Aber deinen Großvater schon.«
Wut flackerte in Lázlo auf, er wollte keine Lügen mehr hören und stürzte sich auf ihn, aber der Rabe packte Lázlo und drehte ihn auf den Rücken. Der Alte drückte seine Hände um Lázlos Hals. »Wirklich«, zischte er. »Das ist die Wahrheit. Aber dein Opa war zu weich. Er sagte immer, ich solle doch mehr Geduld mit den Menschen haben.«
Lázlo zappelte, aber der alte Mann war zu stark. Der Griff um seine Kehle zu fest.
Die Stange. Verzweifelt tasteten seine Hände
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