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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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eine Art Theaterstück auf, eine feierliche Pantomime. Ihm fiel auf, dass sich die Jugendlichen um dieses Schauspiel zusammenrotteten. Was ging da vor? Frenyczek reckte den Hals: Offenbar sollte die Krönung von König Matthias Corvinus nachgestellt werden. Der große Typ im schwarzen Umhang und mit der bescheuerten Silbermaske hockte jetzt auf einer Art Thron, während ein Junge auf den Knien rutschend zu ihm heranrobbte. In seinen Händen ruhte eine erstaunlich gute Nachbildung der Stephanskrone. Das Ding sah jedenfalls von Weitem ziemlich echt aus, Respekt, fast blendete ihn das in der Sonne schillernde Gold.
    »Du!«
    Jemand zupfte ihn am Ärmel. Der Kommissar fuhr herum und betrachtete misstrauisch eine alte Frau mit Trachtenrock, Kopftuch und vielen Falten. Er bemerkte ihre Plastikeimer und ein paar Blätter. Eine dieser Blumenfrauen, die in ganz Budapest rumliefen. »Ich kaufe nichts«, herrschte Frenyczek sie an.
    »Ich habe auch nichts mehr zu verkaufen«, gackerte die Alte. »War ein guter Tag.«
    »Was willst du dann?«
    »Nun.« Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß und der Kommissar fühlte sich tatsächlich unbehaglich unter diesem Blick.
    »Du bist doch Polizist, oder?«, fragte sie schließlich.
    »Woher weißt du das?«
    »Ha«, lachte sie. »Jungchen, du stehst hier mit einem Kabel im Ohr, und wenn ich mich nicht irre, steckt da …«, die Blumenfrau tatschte mit ihren krummen Fingern an seiner linken Seite herum, dort, wo er im Achselholster seine Dienstwaffe trug, »… eine Knarre«, vollendete sie den Satz.
    Jetzt war Frenyczek ehrlich überrascht. Er achtete stets darauf, sein Jackett eine halbe Nummer größer zu kaufen, sodass seine Waffe so gut wie nicht auffiel. »Wieso …?«
    Wieder lachte sie nur. »Jungchen, was glaubst du, wie ich die Sowjets überlebt habe? Da war das Wissen um die Leute, die Waffen trugen, ein Wissen um Leben und Tod. Einmal, als mein Paul Iván noch lebte, da haben diese verrückten Kommunisten versucht …«
    »Was zum dreigehörnten Teufel willst du?«, unterbrach der Kommissar sie wütend. Ein plapperndes Blumenweib konnte er jetzt nicht brauchen.
    »Dir was sagen«, sagte Éva und grinste. Mit zusammengekniffenen Lippen natürlich.
    18.46 Uhr, Parlament
    Lázlo huschte die Treppen zum nördlichen Seiteneingang hinab. Einmal mehr benutzte er den Generalschlüssel, zerrte die wuchtige Pforte auf, aber nicht weit, nur einen Spalt. Er linste hindurch. Niemand packte ihn. Keiner wartete auf ihn. Ein paar Meter weiter weg entdeckte er einige von den Jungs. Sie drängten sich zusammen und blickten nach links. Rasch öffnete Lázlo die Tür, schob sich hinaus und flitzte die Treppen hinunter. Ja natürlich. Die große Inszenierung. Hollós Krönung. Janosch hatte dem Raben gerade die Lorbeerblätter abgenommen und wollte ihm die Stephanskrone aufs Haupt drücken, aber Holló hob die Hand. Er deutete auf jemanden in der Menge. Lázlo stockte der Atem, als er sie erkannte.
    18.44 Uhr, vor dem Parlament
    Mit hängender Zunge und Brandblasen an den Füßen erreichte Lena endlich das Parlament. Natürlich hatte sie auch schon wieder Durst ohne Ende und ebenso natürlich zweifelte sie immer noch daran, dass sie ihren Tauchgang überlebt hatte. »Vielleicht träume ich das alles nur.« Lena stand irgendwo vor diesem Riesenmonsterhaus, das sich Parlament nannte, und hüpfte immer wieder in die Luft, um über die Köpfe der Menschen zu spähen. Im Gegenzug huschte sie flink und geschmeidig durch die Menge – es hatte eben Vor- und Nachteile, kleiner als die meisten zu sein. Da vorne ging irgendetwas vor. An einer Bühne drängten sich junge Leute zusammen. Sie preschte vorwärts, schlüpfte unter nach Schweiß muffelnden Armen hindurch und schob sich rasch weiter. Auch eine Art tauchen – Menschen-Diving, ha!
    Auf der Bühne hockte ein Mann in schwarzem Umhang und mit einer albernen Maske vor dem Gesicht. Irgendjemand hielt eine noch lächerlichere Krone in die Luft. Lena wollte sich gerade abwenden, als der Maskenmann auf sie zeigte. Und dann langsam seinen Zeigefinger krümmte. Meinte er sie? Fragend riss sie die Augen auf. Die Silbermaske nickte und winkte noch einmal. Lena stöhnte. Na gut, wenn sie bei irgendeinem Folklorezeug mitmachen sollte. Von der Bühne aus hätte sie wenigstens Übersicht.
    Sie schob sich weiter nach vorne, und erst als die Menge ihr plötzlich Platz machte, als wäre diese das Rote Meer und Lena Moses, wurde ihr mulmig. Alles Jungs. Alle mit ernstem

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