Blutsball (German Edition)
Andrew stand erstarrt zwischen den Leuten und sein Herz setzte für eine Sekunde aus. Der Fremde wurde von einer Aura umgeben, die einschüchternd, ja fast beängstigend wirkte.
„Willkommen in Nordwich Castle. Ich freue mich, dass sie so zahlreich erschienen sind, um heute Abend mit mir zu feiern. Einige von Ihnen erhalten gleich von meinen Angestellten einen Umschlag. Es handelt sich um eine besondere Einladung, zu einer persönlichen Runde im roten Salon. Die Gäste, die keinen Umschlag erhalten, sind bitte nicht allzu enttäuscht. Sie dürfen sich zum feiern in den grünen Salon begeben, dort werden nach Mitternacht Häppchen gereicht.“ Die Stimme des Gastgebers wurde durch die Maske zwar sehr gedämpft und doch bemerkte man den tiefen, samtenen Klang, der für Gänsehaut bei den wenigen weiblichen Gästen sorgte.
Im nächsten Moment standen wie aus dem Nichts die Kellner bereit und reichten jedem Gast ein Glas Champagner. Der Hausherr selbst, hielt bereits eins in der Hand. Andrew nahm dankend sein Glas entgegen und betrachtete die feinen Perlen, wie sie eifrig Richtung Glasrand aufstiegen und mit einem zischenden Geräusch an der Oberfläche platzten. Der Champagner hatte eine ungewöhnlich dunkle Roséfärbung. Andrew kannte sich mit edlen Getränken aus, aber einen solchen Champagner hatte er noch nie gesehen. Er schnupperte unauffällig daran und ein blumiger, metallisch-süßer Duft stieg ihm in die Nase und hinterließ ein leichtes Prickeln auf seiner Zunge. Der Kellner zog einen cremefarbenen Umschlag aus der Tasche und reichte ihn Andrew mit einem Kopfnicken. Dann verschwand er in der Menge.
Andrew jubelte innerlich. Er bekam also die Chance, den neuen Besitzer von Nordwich Castle persönlich kennenzulernen. Sein Vater würde sicher stolz auf ihn sein, wenn er davon erfuhr.
„Auf einen unvergesslichen Abend!“, hallte die Stimme des Fremden auf der Treppe durch den gesamten Ballsaal. Alle erhoben ihre Gläser und prosteten sich gegenseitig zu. Andrew setzte das Glas an die Lippen und schlürfte fast andächtig den ersten Schluck. Der edle Tropfen schmeckte mindestens so gut, wie sein Geruch erahnen ließ. Der neue Schlossherr hatte wirklich keine Kosten und Mühen gescheut, um seine Gäste zu beeindrucken. Als er wieder nach oben zur Treppe blickte, war der Rotmaskierte schon wieder verschwunden. Wahrscheinlich war er irgendwo in der Menge untergetaucht, um sich an dem eifrigen, leider meist sehr oberflächlichen Smalltalk zu beteiligen. Andrew stellte sein leeres Glas auf ein Tablett, das ein Kellner an ihm vorbei trug und schlenderte ziellos durch den Saal. Er bewunderte die verschiedenen Kostüme und ließ sich hier und da in ein kleines Gespräch verwickeln.
Als ihm Philip wieder einfiel und er sich gerade nach ihm auf die Suche begeben wollte, spürte er einen unangenehmen Druck in der Magengrube. Zuerst versuchte Andrew das flaue Gefühl zu ignorieren, doch dann stieg mehr und mehr die Übelkeit in ihm hoch. So unauffällig wie möglich, presste er seine rechte Hand in die Magengegend, doch es wurde immer schlimmer.
Schweißperlen traten ihm auf die Stirn und sein Mund fühlte sich pelzig an. Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und blickte sich suchend nach einem Ausgang ins Freie um. Sein Blick blieb an einer Tür hängen, die ihm zuvor noch nicht aufgefallen war. Weil er Angst hatte, sich inmitten der vielen Leute übergeben zu müssten, stürmte er in Richtung der Tür und stieß dabei fast mit dem üppigen Dekollete einer korpulenten Dame zusammen. Andrew geriet ins Taumeln. Sie kniff die Augen hinter ihrer Federbesetzten Maske zusammen und lachte schallend. „Hey, langsam mein Junge!“ Dabei hüpften ihre riesigen Brüste auf und ab. Andrew murmelte eine Entschuldigung und quetschte sich an ihr vorbei.
Er drückte die Türklinke hinunter und atmete erleichtert auf, denn es war nicht abgeschlossen. Schnell schlüpfte er durch die Tür und verriegelte sie von innen. Schwitzend lehnte er sich gegen die Wand. Sein Herz ratterte wie eine Dampflok, und seine Beine wurden schwer wie Blei. Langsam ergriff ihn die Panik, was war nur plötzlich los? Wurde er vielleicht krank? Hatte ihn etwa die Schwindsucht befallen? Im letzten Jahr war der Sohn der Nachbarn mit nur siebzehn Jahren daran gestorben.
Andrew öffnete zitternd die obersten Knöpfe seines gerüschten Hemdes um besser Luft zu bekommen. Langsam rutschte er an der Wand entlang auf den Boden und legte den Kopf
Weitere Kostenlose Bücher