Blutsball (German Edition)
Blutsball
Andrew Cartwright pfiff ein fröhliches Lied, als er durch die Straßen von Somerton zurück nach Hause lief. Sein nagelneues Gewand war genauso geworden, wie er es dem Schneider in Auftrag gegeben hatte. Ein Prunkstück aus Brokat, Samt und Seide. Es war sehr teuer gewesen, doch sein Vater hatte ihm gelehrt, dass nichts mehr zählte, als der erste Eindruck. Und einen positiven Eindruck wollte Andrew tatsächlich hinterlassen. Schließlich war er einer der wenigen Privilegierten, die eine Einladung des neuen Schlossherrn von Nordwich Castle zu einem Maskenball erhalten hatte.
Man wusste noch nicht wirklich viel, über den neuen Besitzer. Doch hinter vorgehaltener Hand wurde schon getuschelt. Ausländer sollte er sein, und ein Exzentriker. Doch niemand hatte ihn bisher zu Gesicht bekommen.
Umso wichtiger erschien es Andrews Vater Edward, dass sein Sohn an diesem Fest anwesend war. Vielleicht konnten so neue, nützliche Geschäftbeziehungen geknüpft werden. Andrews Vater war ein wohlhabender Mann. Er hatte im Jahr 1845 durch günstige Spekulationen mit Eisenbahnaktien ein Vermögen gemacht. Nur ein Jahr später war es vorbei mit dem Eisenbahnboom und die meisten Spekulanten verloren dadurch ihr gesamtes Hab und Gut. Edward aber, hatte schnell genug auf den sinkenden Kurs reagiert, die Aktien verkauft und seinen Gewinn beiseite geschafft. Jetzt, fünf Jahre später, gehörten seiner Familie viele Ländereien rund um Somerton und sie zählten zu einer der einflussreichsten Familien der Stadt. Eines Tages würde Andrew alles erben und deshalb war auch Edward mehr als begeistert, dass sein Sohn eine der Einladungen erhalten hatte.
Andrew sprang gutgelaunt die drei Stufen zur Eingangstür hinauf und trat in das Haus, dass er mit seinen Eltern und seiner zwei Jahre jüngeren Schwester Mary bewohnte. „Hallo Bruderherz, hier nimm – ich habe sie so blank geputzt, dass du dich darin spiegeln kannst.“ Mary lachte und streckte ihm sein bestes Paar Schuhe entgegen. „Du bist ein Schatz“, erwiderte er dankbar, nahm seiner Schwester mit der einen Hand die Schuhe ab und strich ihr mit der anderen über das krause, blonde Haar. Er liebte seine Schwester mit all der Liebe, die ein großer Bruder empfinden konnte. Dass sie mittlerweile verlobt war und im nächsten Sommer heiraten würde, versetzte Andrew einen Stich ins Herz. Zwar war Marys Verlobter ein guter Kerl, doch für Andrew war sie auch mit ihren neunzehn Jahren immer noch die kleine Schwester, die er vor allem beschützen wollte.
„Bist du schon aufgeregt?“ Ihre blauen Augen blitzten vor Neugier, „Ich wäre so gerne dabei! Ein richtiger Maskenball…hach…ich würde die ganze Nacht tanzen.“, plapperte sie strahlend weiter und begann, durch den Flur zu tänzeln. Andrew musste schmunzeln. Mary war einfach ein richtiges Mädchen, das von großen Bällen und Festen träumte. „Ich…? Aufgeregt wegen eines Maskenballs? Bestimmt nicht…es ist nur eine gesellschaftliche Verpflichtung – mehr nicht.“ Andrew bemühte sich, die Nervosität vor seiner Schwester zu verbergen.
Ja verdammt! Es war der erste offizielle Termin auf den sein Vater ihn nicht begleiten würde, er war aufgeregt, aber das hätte er natürlich nie zugegeben.
***
Als Andrew am Abend in seinen neuen Kleidern vor dem Spiegel stand, überkam ihn ein mulmiges Gefühl. Sein Herz flatterte nervös und seine Handflächen wurden feucht. Er betrachtete sein Spiegelbild und sprach sich Mut zu. Edward hatte ihn so gut es ging auf diesen Abend vorbereitet, und doch hatte er Angst, zu versagen. Er wollte seine Familie bestmöglich repräsentieren.
Die weiße, mit Goldborte besetzte Maske steckte er in die Tasche seines beigefarbenen Gehrocks. Er wollte sie erst auf dem Ball tragen, da die beiden Sehschlitze das Sichtfeld extrem einschränkten.
Vor dem Haus stand die Kutsche schon bereit und so sprang Andrew eilig die Treppe hinunter. Er grüßte den Kutscher mit einem Kopfnicken und kletterte über den ausgeklappten Tritt ins Innere der Kutsche. Der Kutscher schnalzte mit der Zunge und der Einspänner setzte sich in Bewegung. Nordwich Castle war nicht sehr weit entfernt, aber wer etwas auf sich hielt, fuhr mit einer Kutsche vor.
Die holprige Fahrt führte über einen verschlungen Pfad, hinauf einen Hügel, auf dem das Bauwerk stand. Die Kutsche schaukelte hin und her und das flaue Gefühl in Andrews Magen nahm immer mehr zu. Er klammerte sich an den Halteriemen, der vom
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