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Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Titel: Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Haffner
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die Rückerklause. Im Schaufenster werden schon fleißig Kartoffelpuffer gebacken. Die fettigen Rauchschwaden ziehen in entfernteste Winkel des düsteren, unheimlichen und unsauberen Lokals. Trotz der frühen Stunde ist die Klause voller Gäste. Sie ist mehr als bloße Kneipe. Sie ist eine Art Zu Hause für den, der es nicht hat. Lärmende Lautsprechermusik, lärmende Gäste. Die Unappetitlichkeit des Büfetts, der biernassen Tische, der schmutzschwarzen bekritzelten Wände stört niemanden. Rechts vom Eingang in einer Ecke nimmt die Clique Platz. Der Kellner bringt schauderhafte, aber wenigstens heiße Bouillon. Dann wird die Vertilgung der Schrippen und der Würste in Angriff genommen. Gesprochen wird nicht viel dabei. Nur dunkle, fast tierische Laute, Gegrunze, mit dem der Magen seine Befriedigung äußert. Wie verwandelt sind die Jungen. Wie sie die Zähne in die Wurstenden hauen, wie die Kiefer arbeiten. Wie sie einander ansehen und sich mit Blicken sagen: „Junge, Junge, ist das gut, so zu essen und zu sehen, daß nochmehr da ist …“ Und die anderen Blicke, die dankbaren, die stolzen, die Jonny gelten, der mal wieder für alle angeschafft hat.
    Hinten in einer der Nischen sitzt ein blutjunger Cliquenbursche auf dem Schoß eines benebelten Freiers. Zwei Kameraden des Burschen spazieren vor der Nische auf und ab und rufen ihrem Kumpan ein aufmunterndes „Zieh, Schimmel, zieh!“ zu. Zieh deinem Freier die Brieftasche und steck sie uns zu …
    Zwischen zwei Cliquenbullen am Stehtisch vor dem Büfett lehnt ein Mädchen, ein Kind von fünfzehn, sechzehn Jahren. Keß hat es sich das Jackett eines Burschen, dem zu heiß geworden war, übergezogen, die Ballonmütze aufgestülpt und trinkt mit den beiden lederjackenen Bullen einen Schnaps nach dem anderen. Das krankhaft blasse Gesicht mit dem blauen Schläfengeäder verzieht sich zu einem Ausdruck des Ekels, dann aber greift die kleine, schmutzige Hand wieder nach dem Schnapsglas, um einer Lederjacke Bescheid zu tun. Der Mund des Mädchens öffnet sich: fast zahnlos, nur vereinzelte schwarze Reste. Und das Mädchen ist bestimmt noch keine sechzehn Jahre alt …
    Hinter der Theke steht aufmerksam der Wirt. In einem guten blauen Anzug und blütenweißem Kragen, dem einzigen im ganzen Lokal. Ununterbrochen dröhnt Musik. Ununterbrochen kommt und geht es in dem Lokal. Alles junge, jüngste Menschen. Viele kommen mit Rucksäcken, irgendwelchen Paketen. Dann geht es in den Vorraum zuder grauenhaft verschmutzten Toilette. Kurzes Gespräch, Auswickeln, Einpacken. Geld wechselt seinen Besitzer. An der Theke wird ein Schnaps getrunken. Weg. Polizeiliche Razzien sind nichts Seltenes.
    Das Mädchen ist jetzt sinnlos betrunken, torkelt von Tisch zu Tisch und bietet sich an. Friedel gibt mal wieder an, sagt man und ist nicht weiter von der traurigen Szene eines betrunkenen Kindes, das seine mageren Reize zeigt, berührt.Rückerklause, eine Art Zu Hause für den, der es nicht hat. Der ewige Hunger der Jungen hat Schrippen und Würste und auch noch je zwei Kartoffelpuffer restlos vom Tisch gefegt. Wohlig lehnen sie sich zurück, ziehen an der Zigarette, trinken einen Schluck Bier und summen die Lautsprechermelodie mit: „… Auf die Dauer, lieber Schatz, ist mein Herz kein Ankerplatz …“ Gesättigt sind sie, im Lokal ist es warm. Müdigkeit kommt auf. Die Köpfe sinken auf die Tischplatte. Nur Jonny sitzt wach und raucht und raucht. Er bezahlt die Gesamtzeche. Dann zählt er sein Geld. Noch runde acht Mark. Wo werden sie heute nacht schlafen? Die billigste Massenherberge nimmt für die Benutzung einer elenden Wanzenmatratze fünfzig Pfennig. Macht vier Mark fünfzig Pfennig, dann reicht es kaum noch für den morgigen Tag. Jonny grübelt nach einer billigeren Schlafgelegenheit. Die Jungens sollen nur weiterschlafen. Der Kellner soll ihnen sagen, daß Jonny sie abends acht Uhr bei Schmidt erwartet. — —



Was die Rückerklause für den Tag, ist Schmidt in der Linienstraße für die Nacht. Gewiß, Betrieb, schmetternde Blechmusik gibt es hier auch am Tage. Aber abends wird die Fülle in dem kleinen Lokal zu einer wirren Drängelei. Dann steht nicht eine Minute der Bierhahn still, dann ist jeder Stuhl doppelt besetzt. Und wer noch keinen Platz hat, setzt sich aufs Musikpodium oder bleibt mit dem Glas in der Hand stehen, wo er steht. Die ewigen Papiergirlanden, unbedingt notwendiges Stimmungsrequisit, sind stets von dichten Tabaksnebeln umwölkt, trotzdem ein Ventilator

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