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Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Titel: Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Haffner
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bis zum anderen Morgen drei Uhr. Zuhälter, Straßenmädchen, Cliquenburschen und Ringvereinler, Gelegenheitskriminelle und Obdachlose, unterweltlüsterne Bürger und fahndende Kriminalbeamte. Das ist das Mexico . Vor einigen Jahren noch eine kleine Kneipe, die mangels Beteiligung einging. Jetzt stolz als Europas bekannteste Gaststätte inseriert. Der neue Besitzer holte sich aus Moritzens Bilderbuch einige Indianerbilder und tünchte sie recht bunt und naiv auf die nackten vier Wände. Baute künstliche Palmen auf, machte die Schaufenster knallbunt und undurchsichtig und nannte sein Werk eine mexikanische Blockhütte.
    Still sitzen die Blutsbrüder an ihrem Tisch. Ein neuer Tag liegt vor ihnen. Planlos stehen sie ihm gegenüber. Ein Mann betritt das Lokal, ein Fremder, kein Stammgast. Sieht sich suchend um und geht auf den Tisch der Blutsbrüder zu. Fred, der Achtzehnjährige, Jonnys Intimus, springt auf, stößt einen Kameraden beiseite und rennt, stürzt auf die Straße. Der Fremde hinterdrein. Aufregung im ganzen Lokal. Wer war der Fremde?Polizei? Aber keiner der Gäste hat ihn je gesehen. Und hier kennt man alle Beamte des Polizeipräsidiums. Die Clique ist ratlos. Hält es auch nicht für ratsam, noch länger im Lokal zu bleiben. Jonny teilt den Rest des Geldes in gleiche Teile, bildet aus der Clique vier Paare, die die Aufgabe haben, Fred in allen Stammkneipen, bei bekannten Cliquenburschen, in allen Schlupfwinkeln zu suchen. Selbst wenn der Fremde Fred nicht geschnappt hat, wird Fred es nicht wagen, wieder ins Mexico zu kommen. Er muß also erfahren, wo die Clique geblieben ist. Treffpunkt für alle ist abends acht Uhr das Homosexuellenlokal Alte Post in der Lothringer Straße. Die vier Paare gehen nach verschiedenen Richtungen auseinander. — —



In der Erziehungsanstalt ist seit Tagen dicke Luft. Eine kleine Gruppe Fürsorgezöglinge, voran der zwanzigjährige Willi Kludas, hatte eine Art passiver Resistenz beschlossen. Nachts im Schlafsaal wurde sie besprochen und Verräter oder Streikbrecher mit grausamster Feme bedroht: Prügel, Prügel und nochmals Prügel sollten die Abtrünnigen bekommen. Der Direktor und die Erzieher standen den Auswirkungen der passiven Resistenz, ja selbst Sabotageakten, machtlos gegenüber. Das halbe Außenarbeitskommando meldete sich krank, litt plötzlich an den unerfindlichsten Krankheiten. Und die andere Hälfte richtete bei der Scheinarbeit mehr Schaden als Nutzen an. Die Aufsichten tobten, drohten mit Meldungen und Backpfeifen, aber den strikten Beweis der Böswilligkeit vermochten sie nicht zu erbringen. Die Zöglinge grienten sich vorgebeugten Oberkörpers an und arbeiteten weiter. Die Sache begann ihnen Spaß zu machen.
    Im Gebäudekomplex der Anstalt selbst zerbrachen auf rätselhafte Weise Fensterscheiben zu Dutzenden. Türschlösser verweigerten die Funktion. Herbeigeholte Handwerker mußten Sand und kleine Steine aus dem Mechanismus entfernen. In den Aborten verstopften die Klosetts, elektrische Birnen und Sicherungen brannten en gros durch. Unbeaufsichtigt liegende Schriftstücke und ganze Aktenbündel verschwanden, oder blaue Tinte hatte sich auf dem Papier allzu breit gemacht. Die Jungens kamen aus dem schadenfrohen Grinsen nicht mehr heraus. Das war mal was anderes, ’ne feine Sache, die der Willi ausgeknobelt hatte. Mit blassen,wutverbissenen Gesichtern gingen die Erzieher herum. Zum Direktor zu gehen, trauten sie sich schon lange nicht mehr. Wehe dem Jungen, der in flagranti ertappt worden wäre. Aber das Aufpasser-, das Schmierestehersystem klappte, wie alles obrigkeitlich Angeordnete schief und in Trümmer ging.
    Am Nachmittag des vierten Tages berief der Direktor die Erzieher zu sich. Was ist los? Ja, was ist los? Sie standen vor einem Rätsel. Unter dem Vorwand, die Topfpflanzen im Direktorenzimmer zu begießen, rief ein Erzieher während der Konferenz einen Jungen, ihren Jungen, Georg Blaustein, ins Zimmer. „Georg, du bist doch ein anständiger Junge, sag du uns, was los ist. Du hast uns doch sonst alles erzählt.“ Georg Blaustein erinnerte sich an die Nacht vor vier Tagen. Er lag wachend im Bett wie alle anderen Jungen. Da war plötzlich in der Dunkelheit ein Gesicht neben dem seinen. Und er hörte leise aber unheimlich eindringlich: „Wenn du klatschst, dreh ich dir den Hals um …“ Dann war das Gesicht unter Georgs Bett, unter viele Betten hindurch in sein eigenes gerutscht. „Ich … ich weiß … ich weiß wirklich nicht, Herr Direktor,

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