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Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)

Titel: Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Haffner
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… „Noch einen Glühwein, Kinder?“ „Ja …, Frau Wirtin.“
    „Ich hab’ eine Schlafstelle für uns, auch nicht viel kälter als in der Laube. Und Decken sind auch da …“, sagt Georg in das Schweigen. „Wo denn?“ „Wo denn?“ fragen alle. „Stallschreiberstraße, kostet keinen Pfennig. Hab’ schon mal über ’ne Woche da gepennt …“ Es geht auf Mitternacht. Die sechs Blutsbrüder gehen nach ihrer neuen Schlafstelle , Georgs Entdeckung.
    Stallschreiberstraße, Bühneneingang des seit Jahren geschlossenen Theaters in der Kommandantenstraße . Ein niedriges Eisengitter trennt den Vorhof von der Straße. Das Gitter ist kinderleicht überklettert. Georg hantiert an einer niedrigen Tür neben dem Bühneneingang und hat das Schloßauch bald bewältigt. Sie sind in einer kleinen Schauspielergarderobe. Eine unverschlossene Tür führt von der Garderobe auf einen schmalen Gang, der, mehrfach gewunden, zur Bühne führt. Georg geht mit der Taschenlampe voran. Aufgescheuchte Mäuse flitzen über den Weg. Eine Treppe führt in den Heizungskeller und in verschiedene Gelasse unter der Bühne, wo Dekorationsstücke, Bühnenmöbel usw. aufbewahrt wurden. Etliches Gerümpel steht noch herum. Auch zerschlissene Decken, Teppichreste, Kulissenleinen und Kostüme modern in Ecken und Winkeln. Den Traum, jemals wieder Rampenlicht zu erblicken, haben die Lumpen längst aufgegeben. Aber als Deckbett für Obdachlose mögen sie noch angehen. In der ewigen Nacht dieses Bühnenkellers schlafen die Jungens in den Weihnachtstag. In Ungewißheit, in neuerlicher Angst vor ihrem Schicksal.
    Während des ganzen ersten Feiertages müssen sie in ihrem Versteck ausharren. Bei Tage können sie sich nicht auf dem Hof zeigen und das Gitter überklettern. Erst am späten Abend wird ein Junge losgeschickt, um in einer Kneipe Eßwaren zu kaufen. Genau so am zweiten Feiertag. Zwei Tage, drei Nächte in der Finsternis und der Kälte des Bühnenkellers. Als sie sich am frühen Morgen des folgenden Werktages auf die Straße trauen, besitzt keiner auch nur einen Pfennig Geld. Hungrig und erstarrt vor Kälte gehen sie in die Wärmehalle in der Ackerstraße. Sie alle haben gute Wintermäntel, die müssen verkauft werden. Drei, vier Mark bekommt jeder. Dann geht es in die Rückerklause. Heiße Kartoffelpuffer undFleischbrühe. Nach dem Essen holt sich jeder ein kleines Glas Bier. Es muß gespart werden mit den paar Kröten.
    Nur Heinz, der schon während der Tage im Bühnenkeller kaum ein Wort gesprochen hatte, bestellt sich einen Schnaps nach dem anderen. Als er bezahlt hat, bleiben ihm dreißig Pfennig. „Hier, Erwin, die schenk ich dir. Ich brauch vorläufig kein Geld. Ich … geh’ nämlich … gleich … gleich nach ’n Alex und … stell’ mich …“ Plötzlich weint er laut und kindlich auf und wirft den Kopf auf den Tisch. „Ich hab’ genug jetzt … von dem Mist. Ich … mach nich mehr mit … ich … ich hab’ keine Lust mehr …“ Die Kameraden wollen ihn beruhigen, aber er wird nur noch fassungsloser. Der Körper rast in einem hemmungslosen Weinkrampf. Die Gäste mokieren sich: „Leg ihn doch ma trocken, det Wickelkind …“ Ein Zuhälter ruft seiner Liebsten zu: „Lotte, jib den Bubi doch mal de Brust, damit a zu wimma’n ufhört …“
    Langsam beruhigt Heinz sich. Aber er bleibt dabei, sich der Polizei stellen zu wollen. Setzt seine Mütze auf. „Laßt euch das gut gehn. Daß ich euch nich verpfeif, is j a logisch …“ „Heinz, nu mach doch kein Quatsch!“ „Hast ja ’n Vogel, Mensch!“ „Bleib hier, Heinz“, reden sie auf ihn ein. Wollen ihn mit Gewalt zurückhalten. Er reißt sich los, stürzt auf die Straße. Konrad und Georg hinterdrein. Heinz rennt schon beim Arbeitsnachweis. Dort steht immer ein Schupodoppelposten. Richtig: da biegen zwei Grüne um die Ecke. Konrad und Georg müssen stoppen, wenn sie sich nicht selbst in Gefahr bringen wollen. Heinz hat den Doppelposten erreichtund redet auf die Beamten ein. Die wollen zuerst nicht hinhören, schieben Heinz beiseite, dann aber nehmen sie ihn in die Mitte und bringen ihn zum Revier.
    Heinz, der stille, stets träumende Heinz war erwacht. Und das Erwachen, die Erkenntnis, wie weit es mit ihm und seinen Kameraden gekommen war, ließ ihm keinen anderen Ausweg. Man wird ihn einer langen Untersuchung unterwerfen. Wird versuchen herauszubekommen, welchen Umgang er gehabt hat, was er getrieben hat. Und wenn Heinz sich mürbe machen läßt und gesteht, daß er

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