Blutsbrüder: Ein Berliner Cliquenroman (German Edition)
Loch in den Laden zurück. Und bald sitzen Jonny, Fred und Felix gefesselt im Auto. Die Wohnung wird durchsucht nach eventuellen weiteren Spitzbuben. Da die Tür zum Schlächterladen nicht mehr schließt, bleibt ein Posten zurück.
Der Schlächtermeister kann endlich schlafen gehen. Seine Wurstschätze sind unangetastet, und das Loch in der Decke zahlt der Hauswirt. Gar keine üble Reklame für ihn, der Einbruch. Montag werden sie in hellen Scharen ankommen und das Loch in der Decke bestaunen. Eigentlich könnte er einen kleinen Aufschlag auf einige Wurstsorten nehmen. Kaiserjagdwurst zum Beispiel könnte sehr gut um fünf Pfennig das Viertel erhöht werden, auch die Leberwurst zweite Sorte und die Schlackwurst können noch fünf Pfennig vertragen. Das ist schon die Schilderung des nächtlichen Erlebnisses wert. So etwa wird er vor der lauschenden Kundschaft anfangen: „… da seh ich, daß ein Kerl, ein mächtiger Kerl, ein Riese von Kerl vor meinem Laden steht. Ich natürlich rüber. Der Kerl sieht mich, legt einen Revolver auf mich an. Was sollte ich machen? Ich mußte den Kerl, ehe er zum Schießen kam, zu Boden schlagen …“
Ulli irrt in der ihm völlig fremden Stadt umher. Die drei sind geschnappt worden, das ist sicher. Als er türmte, sah er ja schon den Lichtschein des Überfallautos. Zum Glück hatte Ulli sich von Jonny Vorschuß auf die zu erwartende Beute geben lassen, sonst hätte er jetzt nicht einmal nach Berlin zurück können. Gegen fünf Uhr morgens geht er zum Bahnhof und setzt sich in den Personenzug nach Berlin. Ist um zehn Uhr in der Koloniestraße und gibt vor seiner Laube das Erkennungszeichen. Lange muß er klopfen, endlich öffnet man ihm. „Hallo Ulli! Wo sind die anderen? Jonny und Fred?“ „Wo die sind? Polizeigefängnis Magdeburg …“ — —
Die treibenden Kräfte der Clique, Jonny und Fred, sind verhaftet. Haltlos ist der Rest, Konrad, Erwin, Heinz, Walter, Hans und Georg sich selbst überlassen. Konrad, der stellvertretende Bulle, besitzt nicht im entferntesten die Energie, die kalte Berechnung, geistige Überlegenheit und absolute Hemmungslosigkeit eines Fred und Jonny. Und Ulli, Bulle der Clique Schwarze Sieben, ist ein Herrscher ohne Untertanen. Seine sechs Kameraden haben sich nach und nach anderen Banden angeschlossen, oder die endlose Stadt hat sie verschluckt. Auch Ulli ist kein Führer, wie der Cliquenbursche ihn braucht und haben will. Wohl ist er, wie Konrad, ein Draufgänger, ein Schläger, dem keine Rauferei zu gewagt erscheint. Geistige Überlegenheit aber, Jonnys hervorstechende Eigenschaft, besitzt er nicht. Das empfindet jeder Junge in seiner Primitivität instinktiv und fühlt sich zu solcher Führung nicht hingezogen.
Zu allem kommt noch, daß der Rest der Clique sich von der Polizei verfolgt fühlt, unmittelbar. Daß Beamte unterwegs sind mit dem Auftrag, die Bande der jugendlichen Taschendiebe und Autoräuber unschädlich zu machen. Das Bewußtsein, jahrelang in den polizeilichen Fahndungsblättern geführt zu werden, war altgewohnt. Da war man ein Aktenzeichen unter Tausenden. Aber jetzt, die aktive Verfolgung verwirrt, macht überängstlich, gereizt und mutlos. Sie wagen sich kaum mehr aus der Laube. Nur in der Dunkelheit des Winternachmittags schleichen sie in die Koloniestraße, um Lebensmittel zu kaufen. Das vorhandene Geld wird kaum noch für eine Woche reichen. Fred hatte das Vermögen der Clique,weit über fünfhundert Mark, bei sich. Alles hat jetzt die Magdeburger Polizei.
Am Vormittag des 24. Dezembers. Geld ist nicht ein roter Sechser mehr vorhanden. Sie müssen, wenn sie nicht heute am Heiligabend und während der Feiertage hungern wollen, auf Arbeit gehen. In der Ackerstraßenmarkthalle wollen sie ihr Glück versuchen. Ulli will nicht mitmachen. „Schon genug, wenn ich euch hier schlafen lasse“, sagt er. Er weiß, daß die Blutsbrüder auf ihn und seine Laube angewiesen sind. Gestern hatte es bereits eine solenne Prügelei zwischen Konrad und Ulli gegeben. In zwei Gruppen zu je drei Mann ziehen sie los, Richtung Ackerstraße. Als Treffpunkt nach der Arbeit in der Markthalle ist die Rückerklause bestimmt. Ulli bleibt in der Laube.
Das Gedränge vor den Verkaufsständen und in den engen Gängen der Markthalle gibt den Jungen alle Möglichkeiten leichten Arbeitens. Aber trotzdem zögern und zögern sie. Die Aufpulverung durch Fred und Jonny fehlt. Keine Gruppe sieht, wo die andere ist. Vor einem Obststand spritzt plötzlich gellendes
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