Blutschwestern
nicht, dass Dungun eine gute Wahl ist«, rief er ihr zu,
und zum ersten Mal erschrak er vor ihrem Blick, denn ihre Wut traf ihn unerwartet.
»Xiria trifft die Wahl … und Xirias Wahl ist gut!«
Degan schluckte seine Antwort herunter und dachte nach. Warum war sie so aufgebracht? Was hatte er Falsches gesagt … womit
hatte er sie verärgert? Tief unter ihm zogen die Felsen vorbei, und Degan erkannte mit ungutem Gefühl, dass sie ihn nur loslassen
müsste, um seinen Körper an den Felsen zu zerschmettern.
Sie schien die Unruhe in seinen Augen zu bemerken, und sofort wurde ihr Blick wieder freundlich und mild. »Degan hat Angst
vor Xiria?«, fragte sie wie beiläufig.
Degan schüttelte schnell den Kopf. »Nein, ich fürchte dich nicht.«
»Das ist gut«, antwortete sie zufrieden. »Alle sollen Xiria fürchten, nur Degan nicht. Degan braucht Xiria nicht fürchten.
Xiria liebt Degan.«
Er nickte, seltsam berührt. Sie war seine Gefährtin, er liebte sie, sie liebte ihn. Es gab keinen Grund, sie zu fürchten.
Dungun war verlassen, bereits seit vielen Sommern. Was immer ihn dort erwartete, es war sicherlich nicht der dunkle Gott.
Schließlich überließ er sich bereitwillig ihrer Führung und vergaß seine Bedenken.
|392| Xiria setzte ihn am frühen Abend vor dem Tempel ab und bedeutete ihm zu warten. Er widersprach ihr nicht, und sie war zufrieden.
Stolz und kraftvoll stieß sie die Pforte des Tempels auf, in dem Mador auf sie wartete. Sein Gesicht war nicht besonders freundlich,
als er sie erkannte, doch sie ließ sich von ihm nicht beeindrucken.
»Ich habe lange auf dein Erscheinen warten müssen. Was hast du die ganze Zeit getrieben? Die Lalu-Frauen … sind sie vernichtet?«,
rief er ihr zu. Sie machte sich nicht die Mühe zu antworten. Stattdessen nickte sie einfach.
»Aber es muss noch Lalu-Frauen geben! Muruk hat es mir gesagt. Er kann noch immer Salas Licht spüren. Wo ist die Kette, die
du mir bringen solltest?«
Sie bedachte ihn mit einem geringschätzigen Blick. »Xiria hat alle Lalu-Frauen im Wiesenland vernichtet.«
»Wo ist die Kette?«, fragte Mador abermals.
»Die Kette, die Mador wollte, war nicht zu finden. Keines der Wesen hatte sie bei sich.«
Mador fluchte laut und unverhohlen. Seine Augen schienen sie voller Zorn anzusehen, obwohl Xiria nicht verstand, weshalb.
Sie hatte alles getan, was er gesagt hatte. Wenn die Kette nicht bei den Lalu-Frauen gewesen war, dann war es nicht ihre Schuld.
»Xiria hat ihren Gefährten nach Dungun gebracht, er ist im Mugurgebirge nicht sicher. Xiria wird ihn hier lassen – unter Madors
Schutz.«
Er fuhr herum und widerstand dem Bedürfnis, sein Schwert unter dem weiten Gewand hervorzuziehen. Was bildete sich das Greifenweib
ein? Vielleicht war es doch kein guter Einfall gewesen, sie in seine … in Muruks Dienste zu stellen. Noch wäre genügend Zeit.
Ein gezielter Schlag mit dem Schwert, und alles wäre vorbei. Innerhalb der Tempelmauern war sie unbeholfen, egal, wie viel
Stärke sie auch meinte zu besitzen.
»Greife sind in Dungun nicht erwünscht«, sprach er mit ablehnendem Unterton und kam langsam näher.
|393| Xiria funkelte ihn an. »Degan wird hier bleiben, und Mador wird darauf achten, dass ihm nichts geschieht. Wenn er es nicht
tut, wird Xiria ihn töten!«
Madors Hand ließ unvermittelt den Schwertgriff los, sein Gesichtsaudruck wurde freundlicher. Ihre Drohung überhörte er, sie
ging im Klang des Namens unter, den sie ihm genannt hatte. Xiria entspannte sich sichtlich, während Mador bemüht war, seine
Aufregung zu verbergen. Wie herrlich einfach dachte dieses Greifenweib! Wusste sie überhaupt, wer ihr Gefährte war … was er
war? Mador verschaffte sich Zeit, indem er sich von ihr abwandte und ein paar Schritte auf Muruks Statue zu ging. Der dunkle
Gott schien ihm mit gefletschten Schjackzähnen entgegenzulachen.
Ja, Muruk, mein Herr, Ja! Deshalb wolltest du, dass ich das Greifenweib nach Dungun hole. Sie hat ihn uns gebracht! So lange
haben wir nach ihm gesucht, so lange wussten wir nicht, wo er ist. Doch du hast ihn gespürt, seitdem er Engil verlassen hat
… und du hast mir von ihm erzählt, hast mir seinen Namen genannt mit deiner herrlichen Stimme, die nach den Jahren des Schweigens
nun so oft zu mir spricht. Er ist der Sohn des dunklen Greifen. Als er Engil verließ, konntest du ihn endlich sehen und das
widerliche Licht deiner treulosen Gottesgemahlin in ihm spüren! Degan …
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