Blutschwestern
Lichter blitzten immer
wieder auf. Das Wesen, durch dessen Augen er sah, folgte diesen Lichtern, es wurde geradezu von ihnen angezogen. Mador brauchte
eine Weile, um zu erkennen, dass es die warmen Körper der anderen seiner Art waren. Die Schjacks waren erwacht, und nun folgten
sie der Fährte, auf die Muruk sie angesetzt hatte. Er sah durch ihre Augen … Sie hatten ihre Verstecke verlassen. Ein Zeichen
dafür, dass Muruk |396| erstarkte. Es war gut gewesen, die Lalu-Frauen zu vernichten. Bald wäre Sala wieder eine machtlose Göttin und Muruk der alleinige
Herr … und Mador würde ihn mit einem Opferfest aus Blut und Tränen willkommen heißen!
|397| Salas Tränen
Lin blieb stehen und wandte sich um. Niemand folgte ihr. Seit sie Engil verlassen hatte, fühlte sie sich ängstlich und unsicher.
So viel Mut sie auch gehabt hatte, er war verschwunden. Immer klarer wurde ihr, wie behütet und sicher sie aufgewachsen war.
Lin hatte Engil noch nie verlassen, und nun, da sie in den Wäldern von Isnal herumirrte, wusste sie, dass sie keine Ahnung
hatte, was sie überhaupt tat. Ihre Hände zitterten, als sie die Schale mit den Früchten vor sich auf dem Boden absetzte. Sie
musste etwas essen. Unbedarft wie ein Kind war sie aufgebrochen, und es grenzte an ein Wunder, dass die Wachen am Stadttor
sie nicht aufgehalten hatten. Doch wahrscheinlich war der Grund dafür eben jene Schale gewesen, die sie in ihrem kindlichen
Eifer vor sich hergetragen hatte. Die Wachen hatten geglaubt, die Hohepriesterin würde eine Opferschale mit Früchten tragen.
Sie wussten, dass ihr erwählter Gefährte verschwunden war; wahrscheinlich glaubten sie, Lin würde der Göttin ein Opfer für
Degans Rückkehr bringen. Außergewöhnliche Umstände rechtfertigten ungewöhnliche Taten, und so hatten die beiden Wachen sie
freundlich gegrüßt und sie unbehelligt durch das Stadttor gehen lassen. Wer stellte schon die Taten einer Hohepriesterin infrage?
Braam hätte es getan, Ilana und Tojar hätten es getan … aber nicht die Engilianer. Trotzdem würden sie nach ihr suchen lassen,
und die Wachen würden bereitwillig erklären, dass sie Lin hatten passieren lassen.
Lin war sich darüber im Klaren, dass sie weitergehen musste, sie wusste nur nicht wohin! Es dämmerte bereits, ihre Glieder
schmerzten. Sie war eine verwöhnte Königstochter, keine Kriegerin. Sie |398| zwang sich, trotz ihrer nervösen Appetitlosigkeit von den Früchten zu essen. Sie brauchte Kraft, wenn sie weitergehen wollte.
Die vielen Geräusche des Waldes jagten ihr Furcht ein. Das Knacken der Äste, das Rascheln des Laubes unter ihren Füßen und
die eigentümliche Stille, die sich mit dem hereinbrechenden Abend einfand, machten ihr mehr Angst, als sie es jemals geglaubt
hätte.
Oh, du bist so ein dummes Ding, Lin! Was hattest du denn gedacht … dass du einfach in diesen Wald gehst, Degan findest und
ihn nach Engil zurück bringst?
Zu allem Überfluss begann sie zu frösteln. Ihr Priestergewand war nicht geeignet für Waldspaziergänge, ihre Sandalen nicht
für lange Wegmärsche. Natürlich hatten die Wachen sie gehen lassen! Niemand war auf den Gedanken gekommen, dass jemand in
diesem Aufzug lange fortbleiben würde.
Ich bin ein verdammtes Schaf, ein dummes Falbrind!
warf selber vor. Doch es war zu spät. Umkehren wollte sie nicht. Sie wusste, dass in den Wäldern Isnals Waldfrauen lebten. Bis
zum Einbruch der D sie sich unkelheit musste es ihr gelingen, sie zu finden. Dann wäre sie einstweilen in Sicherheit.
Lin erhob sich und nahm die letzten drei Früchte aus der Schale, um sie als Wegzehrung in die Schärpe ihres Gewands zu stecken.
Wenn sie nicht bald die Waldfrauen fand, würde sie in den nächsten Tagen verhungern. Sie hatte keine Ahnung, welche Früchte
des Waldes essbar waren und welche nicht. Sie war halt … dumm!
Das Laub raschelte, als sie sich wieder auf den Weg machte. Baum an Baum, Strauch an Strauch, und das Licht wurde immer schwächer.
Bald würde sie überhaupt nichts mehr sehen können. Dann blieb ihr nur die beängstigende Möglichkeit, sich irgendwo an einem
Baum zusammenzukauern und bis auf den nächsten Morgen zu warten, in der Hoffnung, dass nicht irgendein Raubtier auftauchte
und sie als Beute auserwählte. Lin ging schneller, obwohl die Blasen an ihren Füßen schmerzten. Auch als es kühler wurde,
spürte sie Schweiß auf ihrer Haut. Lin geriet in Panik! Sie trat auf |399| einen Ast,
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