Blutsgeschwister
hörte nicht auf, bis Claudia sich zu Asche getanzt hatte.
»Warum hast du sie nicht einfach erstochen?«, fragte Kit, nachdem die Menge den Pavillon verlassen hatte. »Ich meine, das war schon unterhaltsam und alles, aber …«
»Warum soll ich mir die Hände dreckig machen?« Fancy betrachtete zufrieden ihre schneeweißen Nägel. »Und du weißt, wie ich es hasse, anderer Leute Blut abschrubben zu müssen.«
Die Lakaien kamen zum Jurytisch, an dem die Schwestern saßen. Einer von ihnen brachte das, was von Claudia übrig war: ein geschwärzter Schlüsselbund und die knallroten Schuhe, aus denen ihre Asche und ein paar Knochensplitter quollen. Mason stand hinter ihnen und hielt seine Trophäe nur zwischen Daumen und Zeigefinger, als wäre sie schmutzig.
Fancy nahm die Schlüssel und die Schuhe und sagte zu den Lakaien: »Ihr könnt gehen.«
»Maharani«, murmelte Kit.
Als Mason und die Schwestern zurück zum Kopflosen Garten gingen, fielen Fancy ein paar Bäume auf, die zwischen zwei der Statuen auf der Plattform sprossen. Kit bemerkte sie ebenfalls.
»Haben wir da nicht die ganzen Ohren begraben?«, fragte sie.
»Genau.« Der mittlere Baum war ein schrumpeliges Ding mit einem blassen, knolligen Stamm und dürren, verästelten Zweigen, von denen verführerisch rote Früchte hingen. Er war umringt von vier viel kleineren Bäumen, die verdorrt und schmächtig und vom Schatten des größeren Baums begraben wirkten.
Fancy hüpfte auf die Plattform und blieb vor einem anderen mit Erde gefüllten Steinkreis stehen. Sie hielt die mit Asche und Knochen gefüllten Schuhe hoch. »Ich frage mich, was wohl aus denen wächst?«, rief sie und steckte die Schuhe in die Erde. Der Boden gab nach wie Wasser, und sie versanken im Grund wie gekenterte Boote. Die Erde schloss sich glatt und ruhig über ihnen.
Fancy kniete auf der Kante der Steinumrandung, hielt ihren Kopf in die Erde – es war wirklich, als würde man ins Wasser eintauchen! – und sah die Schuhe unter ihr herabsinken und in der Erde verschwinden, während die Würmer immer näher kamen.
Fancy zog ihren Kopf zurück und schüttelte den Dreck aus Haar, Augen und Ohren. »Da sind Würmer, die an Claudias Knochen knabbern«, sagte sie lachend. »Schau!« Sie zog Kit zu sich, damit sie sich zu ihr knien konnte.
Kit beugte sich vor, wie Fancy es getan hatte, aber die Erde des glücklichen Orts wich nicht vor ihr, und ihr Kopf prallte an dem festen Boden ab. »War ja klar«, sagte sie und rieb sich die Stirn. Sie sah Mason an. »Dieser Ort mochte sie sowieso immer mehr als mich.«
Mason sagte nichts.
»Alles okay?«, fragte Kit.
Er stellte seine Trophäe auf Claudias Steinkreis. »Nein.« Er hatte nichts mehr von dem strahlenden Performer, der sie noch vor kurzer Zeit so begeistert hatte. Es war, als stünde er wieder unter Drogen, nur dass er diesmal nicht lächelte, sondern finster vor sich hin starrte.
»Sag niemandem, was mit deiner Freundin passiert ist«, warnte ihn Fancy. »Es sei denn, du willst wissen, wie es ist, in High Heels zu tanzen.«
»Sie war wirklich meine Freundin.« Er brach in Tränen aus. »Verdammte Scheiße. Sie war für mich wie eine Schwester . Ich kann nicht glauben, dass sie mir das antun wollte.«
»Eine echte Schwester hätte dich höchstpersönlich umgebracht, statt das an irgendwelche Fremden auszulagern. Was denn?«, fragte Fancy, als Kit ihr einen vielsagenden Blick zuwarf.
»Nicht weinen«, sagte Kit. Sie stand auf und umarmte Mason fest. »Hey! Willst du ein paar Geiler-Alter-Bock-Früchte probieren? Ich wette, das wird dich sofort aufmuntern. Fancy, hol ihm welche von den Früchten.«
»Ich geh nicht mal in die Nähe von diesem Baum.«
»Mach schon!«
Verärgert ging Fancy los, um die Früchte zu holen, blieb dann aber mit einem Ruck stehen. »Au!« Sie rieb sich die Nase und scannte ihre Umgebung, sah aber nur Luft. Nein, nicht Luft. Eine matte graue Wand. Vier graue Wände, die schnell um die Schwestern und Mason herum zusammenwuchsen, und in einem Wimpernschlag waren sie zurück im Keller.
Sie brauchten einen Moment, um sich daran zu gewöhnen.
»Das war’s dann«, sagte Mason leise. Kit hielt ihn immer noch in den Armen. »Annie ist wirklich tot.«
»Sieht so aus«, sagte Kit.
»Es ist der Tag des Todes«, sagte Mason.
Fancy schnaufte verächtlich. Als wäre das eine große Erkenntnis. Als würden nicht jeden Tag Leute sterben.
»Erst meine Oma, und jetzt …« Er fing wieder an zu weinen, und Kit drückte
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