Blutsgeschwister
Schaufenster die Schuhe überlagern – so schwach und geisterhaft, dass sie zweifelte, ob Madda ihn sehen konnte. Er spielte Gitarre, und er war allein. Fancy fragte sich, ob er Gabriel vermisste, wenn er nicht bei ihm war, und wenn er es tat, wie er damit umging. Vielleicht war es die Musik, dachte sie und sah zu, wie seine Finger über die Saiten glitten. Wenn sie Kits Klavier anzündete, würde ihre Schwester vielleicht aufhören, sie zu vernachlässigen.
»Fancy!«
Sie drehte sich um, in der irrsinnigen Hoffnung, es wäre Ilan, obwohl sie ihn gerade in dem Fenster gesehen hatte und wusste, dass er irgendwo drinnen war.
Ein Junge mit einem blauen Auge und mehreren Beulen und blauen Flecken rannte von seinen Freunden weg über die Straße, um vor Fancy zum Stehen zu kommen. Sie erkannte ihn, es war der Junge aus dem Park.
»So heißt du doch, oder? Fancy?«
Sie drängte sich an Maddas Seite.
»Ich bin Bill. Erinnerst du dich? Du und deine Schwester haben mich vor diesen Frem-Arschlöchern gerettet. Ich weiß immer noch nicht, wie ihr das gemacht habt, aber …« Er warf seine Arme um Fancy, die anfing zu quieken. Er war heiß und verschwitzt und ein schrecklicher Umarmer. Fancys Nase war gegen seine Brust gequetscht.
Madda zog Bill am Ohr von ihrer Tochter weg. »Junge, was willst du?«
»Nichts, Ma’am.« Als Madda ihn losließ und ihre Tochter beschützend an ihre Seite zog, ging er auf eine respektvollere Distanz, strahlte Fancy aber ununterbrochen an. »Ich wollte nur Danke sagen. Ich wünschte …« Einer plötzlichen Eingebung folgend, kramte er in seiner Hosentasche und zog ein paar zusammengefaltete Scheine hervor. »Ich habe Geld.«
Fancy riss es ihm aus der Hand und nahm wieder ihre Position an Maddas Seite ein.
Bill grinste breiter und näherte sich ihr wieder, aber Maddas niederschmetternder Blick ließ ihn innehalten. »Wann immer ich dir einen Gefallen tun kann, egal was, frag einfach. Das war nämlich echt der Hammer, was ihr getan habt.«
Fancy hob die Schultern und sah zu, wie er zurück zu seinen Freunden ging. Sah zu, wie sie auf sie zeigten und flüsterten.
»Was hast du mit dem Jungen gemacht?« Madda zog sie die Straße runter, weg von Bill. »Und warum hat er dir Geld gegeben?«
»Leute sind komisch. Ich weiß auch nicht, warum sie solche Sachen machen.«
»Er hat gesagt, ihr hättet ihn gerettet. Wovor?«
»Ein paar Frem-Jungs haben ihn zusammengeschlagen, also haben Kit und ich sie vertrieben. Kit und ich …« Fancy seufzte.
»Kit und du was?«
Fancy nahm ein paar von Maddas Taschen, damit sie ihre Hand halten konnte. »Warum regst du dich so auf? Ich dachte, du wolltest, dass ich mehr mit Leuten zu tun habe.«
»Nicht wahllos mit irgendwelchen Leuten.« Madda warf einen Blick über ihre Schulter und verzog das Gesicht. »Kein Grund, so unkritisch zu sein. Und wenn du ihn nicht kennst, solltest du kein Geld von ihm nehmen, ganz egal, was du für ihn getan hast.«
»Wenn ich es nicht genommen hätte, wäre er uns die ganze Zeit hinterhergelaufen, um sich ununterbrochen zu bedanken. Und dann hätte ich ihn auf die Straße schubsen müssen, möglichst vor einen Truck.«
Madda blinzelte erschrocken. Aber dann lachte sie. »Du sprichst nicht viel, aber wenn du’s tust – Gott steh mir bei.«
Fancy brachte es nicht über sich, Maddas Heiterkeit zu teilen. Ohne Kit war Lachen viel zu deprimierend.
Am Montagnachmittag, während der Kurs darauf wartete, dass Mr. Hofstram endlich hereinstolperte, bemerkte Fancy, dass alle sie anstarrten. Ilan sprach nicht wie sonst mit ihr. Also schaute sie einfach starr auf ihre leere Leinwand und fühlte sich ausgeliefert. Ein Jucken unter ihrer Haut drängte sie zur Flucht. Sie hatte Bedenken gehabt, Mason gehen zu lassen, aber wie Kit gesagt hatte, er konnte nichts beweisen.
Das Mädchen rechts von Fancy, eins dieser stylischen, beliebten Mädchen, die nie etwas zu Fancy oder Kit zu sagen hatten, wandte sich ihr zu und lächelte.
»Mason hat mich gebeten, dir das zu geben.« Sie hielt ihr einen Umschlag hin.
Fancy nahm ihn und fragte sich, was Mason ihr wohl geschickt hatte. Der Umschlag war voller Geld. Sie musste erstaunt ausgesehen haben, denn das Mädchen fügte hinzu: »Es ist okay. Er möchte sich gerne bedanken. Er hat gesagt, alles sei so schnell passiert.«
Jemand fragte: »Was ist passiert?«
»Annie hat versucht, Mason wegen eines Vortanzens umzubringen, glaubt man denn so was!«
»Annie Snoad?«, fragte ein anderes
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