Blutskizzen
schon gemacht, nur noch wenige Lehmhügel. Da ist es. Zwei Eingänge, zwei Einfahrten, zwei Garagen, vor einer steht ein älterer Mondeo Kombi. Nicht zu langsam vorbeifahren. Die Tür geht auf, dunkelblond, groß, sportlich, er geht ans Heck des Kombi, verstaut eine Tasche. Das müsste er sein. Sieht jünger aus, auf den ersten Blick. Anhalten ist schlecht jetzt, langsam weiter, irgendwo drehen.
»Da ist ein Parkplatz.« Ernst zeigt nach vorn links. Kleiner Glasbau, blaues Firmenschild, vor dem Haus eine Reihe Kundenparkplätze. Blinker links, einmal zurücksetzen, Motor aus. Ist weit genug weg, trotzdem ganz gute Sicht. Am Auto ist niemand mehr, wohl reingegangen. Er kommt zurück, hat einen Korb in der Armbeuge, könnte das Kind sein. Er schnallt es auf dem Beifahrersitz fest, dauert eine Zeit, die Frau kommt dazu. Wesentlich kleiner, sie setzt sich nach hinten, das Gesicht ist auf die Entfernung nicht zu erkennen. Rückfahrscheinwerfer, Bremsleuchten, sie fahren los.
»Mal schauen, wo sie hinfahren.«
»Wo fährt man Sonntagmorgens schon hin?« Ernst schnallt sich wieder an. »Wahrscheinlich Eltern oder Schwiegereltern.«
»Schlecht möglich, er hat schon lange keine Eltern mehr, hatte ich dir noch nicht gesagt. Sein Vater ist unbekannt, und seine Mutter ist gestorben, als er vierzehn war. Schwiegereltern wohnen nebenan.«
Ernst brummt beim Nachdenken eine Melodie, faltet die Hände im Schoß.
»Wenn er unser Mann sein sollte, muss er aber einiges anstellen. Opfersuche, Ausführung, die Leiche beseitigen … Alles nicht so einfach als junger Familienvater mit Schwiegereltern im Nebenhaus.«
»Schon richtig, aber an den anderen Fakten kommen wir nicht vorbei.«
Der Mondeo rollt langsam durch den Regen, kaum Verkehr, ganz günstig, großer Abstand.
»Soll auch nicht heißen, dass das nicht geht. Wir hatten mal in Berlin einen Vergewaltiger. Der ging mit seiner Frau immer früh zu Bett, gab ihr in den Nächten, wo er was vorhatte, im Wein eine Schlaftablette. Dann stand er noch vor Mitternacht auf und fuhr in die Nähe von Wohnblocks. Irgendwie hat er es immer geschafft, in die Parkgaragen zu kommen, lauerte da Frauen auf und vergewaltigte die ziemlich brutal in ihren Autos. Mutter hatte von allem keine Ahnung und hat Stein und Bein geschworen, dass er die Nacht bei ihr war.«
»Und nie überrascht worden.«
»Doch, aber dann hat er immer auf knutschendes Paar gemacht und hatte die ganze Zeit den Frauen ein Messer in die Scheide eingeführt. Das war’n ziemlich gutes Argument für ein Stillhalteabkommen.«
»Und wie habt ihr ihn festgenommen?«
Er sieht rüber, zieht die Lider zusammen. »Eine hat nicht stillgehalten, als ihr Nachbar neben ihnen parkte.«
»Tot?«
»Knapp dran vorbei.«
Der Mondeo biegt auf die Hauptstraße ein, der Verkehr nimmt zu, etwas näher ran. Ernst hat die Augen geschlossen, der Kopf reagiert haltlos auf jede Lenkbewegung.
»Bisschen wenig geschlafen, letzte Nacht? Geh doch einfach mal früher ins Bett.«
Er zuckt kurz mit einem Mundwinkel. »Erst mal Kaffee trinken gleich und was essen. Noch gar nichts gehabt heute.«
Der Mondeo blinkt, fährt rechts ab, dranbleiben. Zickzackkurs durch kleine Straßen, er setzt den Blinker, fährt rechts in eine Hofeinfahrt, verschwindet. Im ersten Stock größere Fenster, eine aufgehende Sonne aus Messing an der Fassade. Freikirchliche Christusgemeinde, in silbernen Buchstaben auf dem Aushangkasten neben dem Eingang.
»Gott, o Gott, Freikirche.« Ernst ist wieder wach.
»Das sind die ganz Frommen, nicht?«
Er nickt. »Die sind meistens absolut bibeltreu.«
»Scheiß auf den Neandertaler.«
Familie Michels kommt um die Ecke, er wieder mit dem Korb in der Armbeuge. Sie winkt zwei Frauen auf dem Bürgersteig zu, alle warten vor dem Eingang, herzliche Umarmung. Noch das übliche Anerkennungsritual fürs Kind, sie gehen rein.
»Eigenartiges Pärchen.« Ernst verzieht den Mund.
»Warum?«
»Na, durchaus erkennbares Attraktivitätsgefälle. Er wie aus dem Katalog und dann dieses Trockengesteck.«
»Noch nie was von Liebe gehört, Ernst?« Er stöhnt angestrengt. »Vielleicht hat’s mit der Vorstrafe zu tun.«
»Für so was gibt es meistens nur einen Grund: Geld.«
»Mann, Mann, was hast du bloß für ein Menschenbild?«
»Komm, fahr ab! Um elf kommt der Leichenhund.«
Eine dicke BMW-Limousine fährt in den Hinterhof.
»Irgendwo beim Bäcker vorbei, oder brauchst du was Größeres?«
»Mir reicht eine
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