Blutstein
vielleicht.«
»Dreißig?«
Per sah, dass der Fahrer des Wagens ausstieg. Sein Gesicht war nicht
zu erkennen, denn er war zu weit weg und trug eine Baseballkappe. Der Mann sah
sich suchend im Steinbruch um, blickte hoch zu Pers Haus und stieg wieder ein.
Er schien auf etwas zu warten.
»Wenn Hans Bremer dreißig war, als sie ihn im Studio trafen«, fuhr
Per fort, »dann müsste er etwa fünfundvierzig gewesen sein, als er bei dem
Brand ums Leben kam. Aber das kann nicht sein. Hans Bremer hatte eine kleine
Schwester, und die war älter als ich.«
»Ach ja? Ich muss jetzt auflegen.«
»Warten Sie, Frau Ternman, ich will nur darauf hinaus, dass der
Regisseur, der Sie und Ihre Freundinnen gefilmt hat, nicht Hans Bremer war.«
»Er hat sich uns so vorgestellt.«
»Ja«, sagte Per. »Aber wenn ich eines in letzter Zeit gelernt habe,
dann die Tatsache, dass niemand in der Sexbranche seinen richtigen Namen verwendet. Alle versuchen, anonym zu
bleiben, oder? Mein Vater hat ja auch seinen Namen von Gerhard Mörner in Jerry
Morner geändert.«
Es war still am anderen Ende der Leitung, also redete Per weiter:
»Hans Bremer war nur ein ›Torwächter‹, so nennt man das. Jemand hat
seinen Namen verwendet und ihm Geld dafür gegeben, dass er sich Hans Bremer
nennen darf und so seinen eigenen Namen nicht schmutzig machen muss.«
»Wollen Sie damit sagen, dass ich schmutzig bin?«
»Nein, so war das doch gar nicht gemeint ...«
Aber Ulrica Ternman hatte schon aufgelegt.
Per seufzte, betrachtete nachdenklich das Telefon, entschied sich
aber dagegen, erneut anzurufen.
Er warf einen letzten Blick auf das Auto im Steinbruch und verließ
dann die Küche.
Auf dem Weg in den Flur sah er aus dem Augenwinkel die Axt im
Schlafzimmer neben seinem Bett liegen und holte sie. Dann zog er sich die Jacke
an und ging hinaus in die kalte Abendluft. Er trug die Axt in der Rechten, als
er plötzlich meinte, im Schatten zischende Atemgeräusche zu hören.
Jerry?
Er drehte sich um, aber natürlich hatte er sich das nur eingebildet.
Da war keine Menschenseele.
Der Wagen stand nach wie vor unten im Steinbruch, zwischen zwei
Steinhaufen. Er war etwa siebzig oder achtzig Meter von der Kante entfernt. Es
war ein Ford, aber wenn es das Unfallfahrzeug gewesen sein sollte, waren von
dem Aufprall keine Spuren mehr zu sehen. Die Karosserie sah neu poliert aus.
Per meinte zu wissen, warum der Fahrer im Wagen sitzen blieb. Er
wartete darauf, dass der Steinbruch in nachtschwarzer Dunkelheit lag.
Und nachts
kriecht der Troll hervor , dachte er.
Per trat an die Felsenkante und hörte, dass der Motor abgestellt
wurde. Es wurde ganz still, dann kurbelte der Fahrer die Scheibe herunter und
steckte seinen Kopf aus dem Fenster.
»Hallo?«, rief er.
»Hallo!«, erwiderte Per.
»Bin ich hier richtig in Stenvik?«
Es klang tatsächlich so, als hätte er sich verfahren.
»Ja, das ist richtig!«, rief Per zurück und umklammerte die Axt noch
fester.
Die Fahrertür öffnete sich erneut, und der Mann stieg aus.
»Per Mörner?«, rief er. »Sind Sie das vielleicht?«
»Ja, das bin ich. Wer sind Sie denn?«
»Thomas Fall aus Malmö!«, antwortete der Mann. Er streckte etwas
Schwarzes in die Luft, das er in der Hand hielt. »Ich wollte Ihnen ja die
Tasche auf dem Weg nach Stockholm vorbeibringen, die wollten Sie doch ...«
Per nickte.
»Ja, prima. Aber Sie haben sich ein bisschen verfahren!«
»Ach, wirklich? Sie sagten doch, es sei beim Steinbruch!«
»Das ist schon der richtige Gedanke, nur der falsche Weg.« Per
zeigte über die Schulter aufs Haus. »Wir wohnen oberhalb vom Steinbruch, dort
hinten.«
»Meinetwegen, aber hier ist sie auf jeden Fall, Bremers Tasche!«
Per deutete auf die Treppe an der Felskante und rief:
»Ich komme runter!«
Vorsichtig stieg er die wackeligen Steinplatten hinunter. Im
Steinbruch war es wie immer ein paar Grad kälter.
Per ging auf das Auto zu, die Scheinwerfer blendeten ihn und
verwandelten Thomas Fall in eine schwarze Gestalt mit einer Baseballkappe, die
ihm entgegenkam. In der Linken eine Aktentasche, in der Rechten einen
Schlüsselbund. Er rasselte nervös damit und hielt Per die Tasche entgegen.
»Hier ist sie.«
Per sah ihn an, die Axt lag fest und sicher in seiner Hand.
»Legen Sie sie dort hin.«
»Wie bitte?«
»Sie können sie ruhig auf den Boden stellen.«
Fall sah ihn neugierig an.
»Was haben Sie denn da in der Hand?«, fragte er.
»Eine Axt.«
Thomas Fall kam zwei Schritte näher,
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